Europa gewinnt ein bisschen Zeit für das Unabwendbare

Europas Politiker sollten die griechische Zustimmung zu harten Einschnitten nutzen, um ihre Bürger auf die bevorstehende Umschuldung des Landes vorzubereiten.

ist so schlecht daran, auf Zeit zu spielen? Prinzipiell nichts. Manchmal ist es hoch vernünftig, Spielraum zu gewinnen, um ein Problem von Grund auf zu lösen – vorausgesetzt, man ist sich im Klaren, um welchen Problems Lösung willen man auf Zeit spielt. Das ist das Problem im Umgang der Europäer mit der Schuldenkrise Griechenlands: Sie ringen verzweifelt um Zeit, ohne aber klarzumachen, wofür sie die nutzen wollen.

Die europaweite Erleichterung darüber, dass sich das griechische Parlament am Mittwoch in einer Abstimmung dazu durchgerungen hat, in den nächsten fünf Jahren rund 14 Milliarden Euro weniger auszugeben als bisher vorgesehen und ebenfalls rund 14 Milliarden Euro an neuen Steuereinnahmen einzutreiben, sollte über zweierlei nicht hinwegtäuschen. Erstens bekommt Griechenland erst dann die dringend benötigte fünfte Tranche über zwölf Milliarden Euro aus dem 110-Milliarden-Euro-Hilfsprogramm der anderen Eurozonenländer und des Internationalen Währungsfonds, wenn die Athener Parlamentarier heute, Donnerstag, auch den Durchführungsbestimmungen zustimmen. Der Unwille der Griechen, Nägel mit Köpfen zu machen, hat dazu geführt, dass wir uns nach eineinhalb Jahren Griechen-Krise noch immer mit der Seelenlage Athener Hafenarbeiter und mit Abgründen des griechischen Beamtendienstrechts beschäftigen müssen.

Zweitens vernebelt die Erleichterung über das erste von zwei erforderlichen griechischen Parlamentsvoten den Blick auf den Kern des Problems: einen Schuldenberg im Ausmaß von bald 160 Prozent der Wirtschaftsleistung, der wächst, weil die Volkswirtschaft schrumpft. Der griechische Finanzminister, der eines Tages die Schuldenquote seines Landes unter die psychologisch wichtige Schwelle von 100 Prozent drücken könnte, ist heute noch nicht geboren. Griechenlands Gläubiger werden einen Teil ihrer Forderungen abschreiben müssen. Dazu werden dann auch Österreichs Steuerzahler gehören.

Es ist zu hoffen, dass sich Finanzministerin Fekter und Bundeskanzler Faymann überlegt haben, wie sie mit diesem Umstand umgehen werden. Zu hoffen ist auch, dass sie sich Aussagen wie jene der Finanzministerin ersparen, die im Nationalrat gemeint hat, Griechenland habe bisher an Österreich 19 Millionen Euro Zinsen gezahlt, und Österreichs Beteiligung am Rettungspaket habe bisher „keinen Cent gekostet“. Das stimmt natürlich, allerdings nur insofern, dass man auch im Kasino eine Zeitlang tolle Gewinne erzielen und dennoch ärmer nach Hause gehen kann.

Abgerechnet wird erst am Schluss, auch im Fall von Griechenlands erdrückender Schuldenlast. Hier ist zu hoffen, dass die Finanzminister der Eurozone ihr Treffen am Sonntag in Brüssel dafür nutzen, diesem Vorschlag von Daniel Gros, einem Ökonomen am Brüsseler Centre for European Policy Studies, und Thomas Mayer, dem Chefvolkswirt der Deutschen Bank, zu folgen: Die Minister sollten den Euro-Rettungsfonds EFSF ermächtigen, allen Gläubigern Griechenlands den Tausch ihrer Staatsanleihen gegen EFSF-Schuldscheine anzubieten, natürlich mit Preisabschlägen. Die alten Bonds sollten den Banken dann nicht mehr länger als Pfand für die Refinanzierung bei der Europäischen Zentralbank dienen, sondern nur mehr die neuen EFSF-Scheine. Der EFSF würde somit zum alleinigen Gläubiger Athens und könnte der Regierung eine Abschreibung der Altschulden um 40 bis 45 Prozent anbieten – aber nur, wenn die abzustimmenden Reformen erfüllt werden.

Dieses Modell wäre dem griechischen Volk gegenüber damit zu argumentieren, dass ihre unzweifelhaft harten Einschnitte einen neuen Start für ihr Land ermöglichen. Den Steuerzahlern Österreichs wiederum könnte man erklären, dass dieser Schlussstrich nötig ist, um die nicht ganz unverschuldet als unzuverlässig geltenden Griechen zu budgetärer Tugendhaftigkeit anzuhalten, und außerdem den Schwelbrand in der Eurozone zu löschen.

Europas Politiker haben nun Zeit für diese Erklärungsarbeit. Die Einsicht und den Mut dafür hoffentlich auch.

E-Mails an: oliver.grimm@diepresse.com

("Die Presse", Print-Ausgabe, 30.06.2011)

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