Der Verfassungsschutz will die Befugnis zum Speichern „verdächtiger “ Interneteinträge. Das gefährdet die Meinungsfreiheit, nicht die Terroristen.
Peter Gridling ist ein besonnener Mann. Hysterische Journalistenfragen zu den Auswirkungen der norwegischen Terroranschläge auf Österreich beantwortet der Direktor des Bundesamts für Verfassungsschutz und Terrorismusbekämpfung (BVT) sachlich und unaufgeregt. Bevor er spricht, denkt er nach. Eilige Reporter macht das nervös.
Was Gridling sagt, hat er sich gut überlegt. Es ist daher unwahrscheinlich, dass die jüngsten Forderungen des zivilen Nachrichtendienstes der Republik eine direkte Reaktion auf die Bluttat des Anders Breivik sind. Schon vor Wochen hatte Innenministerin Johanna Mikl-Leitner mit dem Vorstoß zum neuen Anti-Terrorismus-Paket den Boden mit den Worten „Datenschutz darf nicht zu Terroristenschutz werden“ bestellt. Dass das BVT nun fordert, „verdächtige Interneteinträge“ präventiv in einer Datenbank zu speichern, um allenfalls entstehende Gefahrensituationen ohne(!) konkreten Tatverdacht vorhersagen und verfolgen zu können, ist daher nur folgerichtig. Zumindest dann, wenn man Meinungsfreiheit als lästiges Beiwerk zur Demokratie begreift. In Wahrheit würde eine solche Befugnis für den Verfassungsschutz eben diese Verfassung nicht schützen, sondern gefährden. Wie das geht?
Im Prinzip steht es jedem Bürger dieser Republik frei, seine politische oder weltanschauliche Meinung ungestraft zu äußern. Mit drei Ausnahmen: Die Rechte Dritter dürfen dabei nicht verletzt, religiöse Lehren nicht herabgewürdigt und die Ideologie des Nationalsozialismus nicht gutgeheißen werden. Wobei der letzte Punkt bei Nazis und echten Liberalen gleichermaßen auf Ablehnung stößt.
Gridlings Vorstoß für eine sogenannte „Datenspeicherungsbefugnis“ ist aus seiner Sicht verständlich. Jede andere auch nur halbwegs ernst zu nehmende Führungskraft würde sich genauso für möglichst weitreichende rechtliche, finanzielle oder materielle Mittel einsetzen, die der Erfüllung des eigenen Geschäftszweckes dienlich sind (die einzige Ausnahme ist Verteidigungsminister Norbert Darabos, der dem Bundesheer lieber zu wenig als ausreichend Eurofighter zur Verfügung stellt). Kritisch denkende Bürger hingegen dürfen sich vor Gridlings Plan fürchten.
„Alles, was Sie ab sofort sagen oder schreiben, kann und wird gegen Sie verwendet werden. Irgendwann haben wir genug, um Ihnen, liebe Bürgerinnen und Bürger, daraus einen Strick zu drehen.“ So lautet die unmissverständliche Botschaft. Wo es bisher konkrete Anhaltspunkte für eine Straftat brauchte, soll künftig ein loser Verdacht, die Neugier eines Beamten oder der Anruf eines Ministersekretärs reichen, um im elektronischen Archiv des Innenministeriums zu landen. Das ist praktisch. Denn: Wenn aus heutiger Sicht die kruden Blog-Einträge des Anders Breivik als verdächtig gelten, was ist dann dieser Leitartikel, ein regierungskritischer Leserbrief, das Buch von Thilo Sarrazin oder der Foreneintrag eines militanten Tierschützers, der seine Meinung deutlich, aber im Rahmen des Erlaubten äußert? Staatsgefährdend?
Mit vorauseilendem Gehorsam wäre jedenfalls zu rechnen, die viel zitierte Gedankenpolizei keine Utopie mehr, die nächste Eskalationsstufe zum Spitzelstaat erreicht. Meinungen, die nicht dem Mainstream entsprechen, würden verschwinden. Und was Mainstream ist, versucht bereits heute ein Oligopol aus Parteisekretariaten, NGOs und Boulevardmedien zu bestimmen, die mit Förderungen und Inseraten der Bundesregierung großzügig bedacht werden.
Menschen, die sich für die Wahrung des Datenschutzes einsetzen, werden im besten Fall als Spinner, oft genug als Wegbereiter für Kriminelle denunziert. Auch von Regierungsmitgliedern. In Wahrheit kämpfen sie mit demokratischen Mitteln für den Erhalt der Meinungsfreiheit. Und die Auseinandersetzung mit der politischen Obrigkeit und ihren Hörigen hat gerade erst begonnen. Die vom BVT gewünschte Speicherbefugnis hat nämlich nur Sinn, wenn die Nachrichten auch ihren Urhebern zuordenbar sind. Der nächste Schritt wäre also, anonyme oder verschlüsselte Kommunikation zu verbieten. Vielleicht nach dem nächsten Anschlag
E-Mails an: andreas.wetz@diepresse.com
("Die Presse", Print-Ausgabe, 26.07.2011)