Nach Norwegen kann es nur heißen: Es wird noch penibler geachtet, dass weder für bloße Scheinlösungen von Problemen noch für dümmliche Hetz-Aktionen Platz ist.
Leitartikel
Österreich ist nicht Norwegen. Kein vernünftiger Mensch wird einen unmittelbaren Zusammenhang zwischen den hiesigen politischen Kontroversen um Zuwanderung und Integration von Ausländern und selbst noch so primitiven „Daham-statt-Islam“-Wahlkämpfen und einem Massenmord an (jungen) Menschen in Norwegen herstellen. Auch dann nicht, wenn der Attentäter in seinem abstrusen 1500-Seiten-Pamphlet, mit dem er seine Wahnsinnstat irgendwie zu verbrämen versucht, auch auf Österreich Bezug nimmt.
Dennoch stellt jetzt ausgerechnet die Bundesregierung einen Konnex zum Bombenanschlag im Osloer Regierungsviertel und zum unfassbaren Massaker im Ferienlager der Jungsozialisten her. Denn genau jetzt halten – vom Bundeskanzler Faymann bis zur Innenministerin Mikl-Leitner – die Verantwortlichen den Zeitpunkt für gekommen, weitere Maßnahmen gegen Terroranschläge zu setzen. Genau weiß diese Regierung zwar ohnehin nicht, was sie dabei wirklich machen will. Aber gemäß ihrem eigenen schlechten Vorbild, dass Scheinaktivität schon zielgerichtetes politisches Handeln ist, wollen SPÖ und ÖVP weismachen, damit könnte ein ausgeklügelter Anschlag eines offenkundig wirren Täters verhindert werden.
Die von der ÖVP gestellten Ministerinnen für Inneres und Justiz sind immerhin noch einigermaßen konsequent. Johanna Mikl-Leitner und Beatrix Karl haben schon im Juni nach der Festnahme von Terrorverdächtigen auf dem Flughafen Wien-Schwechat ein „Anti-Terror-Paket“ vorgelegt. Ein wenig gelungener Versuch der Resteverwertung dessen, was Ex-Justizministerin Bandion-Ortner nach dem Abgang im Ressort zurückgelassen hat.
Dabei hat man sich nicht einmal die Mühe gemacht, beispielsweise das „Gutheißen“ von terroristischen Straftaten so zu definieren, dass Grundrechte wie die Meinungsfreiheit nicht auf der Strecke bleiben. Aber in Zeiten, in denen weit über Norwegens Grenzen hinaus die Menschen durch eine abscheuliche Bluttat betroffen und aufgewühlt sind, ist die Verlockung für Politiker groß, solche Vorhaben leichter durchzuboxen. Eine erst kurz zurückliegende Blamage von Justiz und Exekutive mit einem diffusen „Mafia“-Paragrafen, der auch mehr Sicherheit gegen das organisierte Böse suggerieren sollte, war zu wenig Lehre.
Wenn es um das Einlullen mit vermeintlicher Sicherheit und Aktionismus geht, ist Österreichs Bundeskanzler ein Meister seines Faches. Eh klar, Werner Faymann ist plötzlich auch für Maßnahmen gegen Terroranschläge. Wie? Mit mehr internationaler Zusammenarbeit der Polizei. Und weiter? Noch vor dem Ministerrat am Dienstag hatte SPÖ-Staatssekretär Schieder vor einem „Überwachungsstaat“ gewarnt. Und alle Genossen Faymanns blicken seit Freitag bewundernd zu Norwegen auf, wo der sozialdemokratische Premier Stoltenberg seine Landsleute aufmunterte, man werde trotz des Massenmordes nicht von einer offenen Gesellschaft abgehen.
In Österreich werden Offenheit und Bürgerrechte von einem SPÖ-Bundeskanzler bestenfalls noch beim Besuch in einem Juso-Camp hochgehalten. Genauso wie derselbe SPÖ-Chef in wahlkampffreien Zeiten ständig beteuert, die FPÖ sei kein Koalitionspartner. Das ist genau dieselbe Partei eines Heinz-Christian Strache, mit denen Faymanns Sozialdemokraten vor der letzten Nationalratssitzung 2008 liebend gern gemeinsame Sache gemacht haben.
Echte Offenheit würde bedeuten, dass Bevölkerung und Politiker über Schattenseiten und Fehlentwicklungen der Ausländerpolitik reden. Wenn etwa Gangs schlecht integrierter halbwüchsiger Zuwanderer in Parks Schüler tyrannisieren. Bloß zum Aufhetzen der Bevölkerung sind dagegen blaue Internet-Aktionen gedacht, in denen Minarette zum Abschießen sind, oder Comics, in denen aufgefordert wird, dem „Mustafa“ mit der Steinschleuder eine aufzubrennen.
Wenn es um Integration und Zusammenleben geht, ist die Politik dauernd besonders gefordert. Da ist demnach weder für dümmliche FPÖ-Wahlkampfaktionen noch für rot-schwarze Alibilösungen oder Scheinsicherheit Platz. Mit jedweden Gauklern ist mit Sicherheit kein Staat zu machen. Seiten1, 2
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("Die Presse", Print-Ausgabe, 27.07.2011)