Ein Ende der Halbheiten: EU neu gründen oder beenden

Ein Nordeuro wäre der Beginn des Endes der EU, ebenso eine Wirtschaftsregierung ohne Überstaat. Die EU gehört neu aufgesetzt wie ein schwächelnder Laptop.

Die Wut, die Emotionen sind so groß, dass kaum noch klare Gedanken möglich sind. Griechenland soll fallen gelassen werden, sagen die einen, Deutschland soll eine Hartwährungsunion gründen, die anderen. Und in der simplen Gedankenwelt vieler EU-Skeptiker hat es sich damit auch schon. Zerschlagen, zerstückeln: Dann wird alles besser.

In Wirklichkeit wäre es zwar möglich, Griechenland aus dem Euro zu drängen. Die Bedeutung des Landes für den gemeinsamen Wirtschaftsraum ist marginal. Gewonnen wäre freilich damit auch wenig. Dass ein solcher Schritt erst recht mit dem Abschreiben der Schulden einherginge, sagen die wenigsten. Der deutsche Ex-Industrieverbandspräsident Hans-Olaf Henkel, der nun in der „Welt“ für eine Hartwährung der Nordeuropäer eintritt, erwähnt dieses Detail immerhin. Bei seinem Werben für den „Nordeuro“ lässt er freilich einen anderen wichtigen Aspekt weg. Seine Hartwährungstheorie würde nämlich dazu führen, dass der wichtigste Handelspartner der Deutschen, Frankreich, aus der gemeinsamen Währung gekickt würde. Henkel rechnet nicht ein, was es für Verwerfungen in der deutschen – und übrigens auch österreichischen – Wirtschaft gäbe, wenn auch Italien nicht mehr in der gemeinsamen Währung wäre. Wenige Tage, nachdem die Schweiz uns vor Augen geführt hat, was es im Umfeld dieser Krise für ein Land bedeutet, seinen eigenen Hartwährungsweg zu gehen, kann auf solche Theorien schlicht verzichtet werden.

Es ist, als überlege sich jemand eine Scheidung, aber das Schicksal der gemeinsamen Kinder, die Organisation des Familienhaushalts, die Basis des langjährigen Vertrauens außer Acht lässt, nur weil er es satthat, sich die Probleme des anderen anzuhören.

Eine Hartwährungsunion aus Ländern rund um Deutschland und Österreich wäre das Ende der Europäischen Union, weil sie die wichtigste gemeinsame Basis, den Binnenmarkt, zerstückeln würde. Gegenüber Weichwährungsländern wäre sie die Rückkehr zu einem riskanten Außenhandel, in dem jedes Geschäft durch Abwertung nationaler Währungen über Nacht zerstört werden könnte. Das freie Spiel der nationalen Währungen, das angeblich auch schwer verschuldeten Ländern wie Italien zugute käme, würde letztlich nur der erste Schritt zu neuen Handelsschranken sein. Export- und Tourismusländer würden zu den großen Verlierern zählen.

Die Halbheit und Kurzsichtigkeit, die in diesem Vorschlag stecken, erinnern an die jüngsten Initiativen der deutschen Bundeskanzlerin Angela Merkel und des französischen Präsidenten Nicolas Sarkozy. Ihre Idee zur Gründung einer Wirtschaftsregierung abseits von Demokratie und Kontrolle hat eine ähnlich zweifelhafte Qualität. Denn sie würde das rechtliche Konstrukt der Gemeinschaft auflösen. Sie würde politischer Willkür Tür und Tor öffnen. Staatschefs, die sich in Brüssel hinter verschlossenen Türen treffen, würden zum Richter über ihre eigenen Fehler. Der Euro würde dadurch kaum an Vertrauen gewinnen, die EU erst recht nicht.

Die Situation ist so verfahren, dass über weit größere Schritte nachgedacht werden muss: Diese Krise kann entweder zur Zerschlagung der EU führen. Das wäre schade, wirtschaftlich unsinnig, würde aber heute immerhin dem Willen breiter Bevölkerungsgruppen entsprechen. Oder aber, es wird aller Mut zusammengenommen und über eine Neugründung nachgedacht. Die EU ist heute wie ein Computer, der langsam und träge geworden ist, der sich immer wieder aufhängt. Da hilft nur noch das Neuaufsetzen des gesamten Betriebssystems. Ein Betriebssystem, das endlich all die nationalstaatliche Software vernetzt und kompatibel macht. In diesem neuen System ginge es wohl nicht mehr ohne gemeinsame Haushaltskontrolle, ohne Eingriffe in nationale Fehlentwicklungen, ohne gemeinsame Steuerpolitik, ohne Firewall gegen Finanzspekulationen. Die zentrale Verwaltung müsste Durchgriffsrechte erhalten, aber sie müsste im Gegensatz zum Modell einer Wirtschaftsregierung voll in Checks and Balances eingebettet werden, also in ein demokratisches System aus gerichtlicher und parlamentarischer Kontrolle.

E-Mails an: wolfgang.boehm@diepresse.com

("Die Presse", Print-Ausgabe, 09.09.2011)

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