Die einzig verbliebene Alternative: Der Haircut

Griechenland fehlt es sowohl an Bemühen als auch an Glück, die Pleite noch länger abzuwenden. Ein Schuldenschnitt wird notwendig, aber bitte ein ausreichender.

Manchmal erscheint die öffentliche Behandlung der griechischen Schuldenkrise wie eine Debatte in zwei parallelen Welten. Die eine Ebene versucht es sachlich und entwirft immer neue Varianten einer Rettung für das fast bankrotte Land. Sie debattiert Rettungsschirme, Eurobonds, Privatisierungsfonds. Die andere Ebene sucht die Emotionen und lässt den Eindruck entstehen, die Bevölkerung könnte sich noch immer entscheiden, ob sie nun den Euro retten möchte oder nicht. Dass dies schlicht eine Illusion ist, wird in dieser Parallelwelt genauso ausgeblendet wie die Tatsache, dass auch die mitgelieferten Lösungsansätze wie etwa der Austritt Griechenlands aus dem Euro einen Rattenschwanz an Kosten und schweren Verwerfungen auslösen würden.

Wir erleben eine öffentliche Debatte, die so stark und widersprüchlich ist, dass sie das politische Handeln der noch dazu schwächelnden Regierungen Europas fast unmöglich macht. Aus dieser Not heraus ist eine Taktik entwickelt worden, die nicht mehr an der Lösung ansetzt, sondern an der Befindlichkeit der Bevölkerung und der Finanzmärkte. Die Griechenland-Pleite sollte so lange hinausgezögert werden, bis sich andere Euroländer aus der Gefahrenzone des Staatsbankrotts herausmanövriert haben. Statt klarer Entscheidungen über den unausweichlichen Schuldenschnitt für Griechenland hielt sich so auch die Hoffnung, das Land könnte es mit viel Bemühen und ein bisschen Glück vielleicht noch schaffen. Doch das Bemühen blieb teilweise, das Glück völlig aus.

Heute muss sich Europa, ob es nun in der einen oder in der anderen Welt lebt, mit einem Schuldenschnitt Griechenlands abfinden. Denn dieser „Haircut“ bleibt die einzige Alternative, um das ständige Aufstocken der Rettungsaktionen, das Vergemeinschaften der Schulden zu beenden. Und dieser „Haircut“ wird wehtun. Er wird viel kosten, wird manche Banken an den Abgrund treiben und möglicherweise sogar einen Geldwertverlust bringen. Wird der Schnitt nämlich nicht tief genug angesetzt, wird der Druck nicht entweichen. Die griechischen Schulden werden rasch wieder nachwachsen, und ein neuerlicher Schnitt wird notwendig. Er wäre naturgemäß noch teurer.

Der deutsche Wirtschaftsweise Lars Fels hat kürzlich in einem „Presse“-Interview einen Haircut von 50 Prozent empfohlen. Andere wie der Linzer Volkswirtschaftler Friedrich Schneider sprechen von 30 bis 40 Prozent (Interview im „Profil“) und einer Erstreckung der restlichen Kredite. Andernfalls werde es Griechenland nicht schaffen, seine Wirtschaft wieder auf gesunde Beine zu stellen.

Deutsche und französische, aber vor allem griechische Banken könnten dadurch straucheln. Die Europäische Zentralbank müsste die von ihr übernommenen Staatsanleihen teilweise abschreiben. Auch Österreichs Steuerzahler und heimische Banken wären betroffen. Schön wird dieser Haircut nicht. Aber schön waren auch die bisherigen Vorgangsweisen nicht, die einzig darin bestanden, in unterschiedlichen Varianten noch mehr Geld und Haftungen bereitzustellen.

Damit keine lieblosen Stoppeln übrig bleiben, muss dieser Schnitt zumindest professionell und mit Verantwortung für die Zukunft vollzogen werden. Er muss sicherstellen, dass Griechenland die Erleichterung nicht dazu nutzt, in sein altes System von Nepotismus und Steuerhinterziehung zurückzurutschen.

Es muss gleichzeitig auch auf Ebene der EU ein machtpolitischer Umbau stattfinden. Dies kann nur auf das von der deutschen Bundeskanzlerin Angela Merkel nun geforderte „Durchgriffsrecht“ gegen Eurosünder hinauslaufen. Diese Möglichkeit, auf die Haushaltspolitik einzelner Staaten Einfluss zu nehmen, muss aber auf europäischer Ebene in ein System demokratischer, parlamentarischer Kontrolle eingebunden werden. Denn was Europa nach dieser Krise nicht mehr braucht, ist das fortgesetzte Lavieren angeschlagener Regierungschefs, die hilflos versuchen, in Brüssel sachlich zu bleiben und daheim die Parallelwelt der Euroskeptiker zu bedienen. Es braucht ein wasserdichtes System gegenseitiger Kontrolle und Verantwortung, das letztlich auch die Bevölkerung überzeugt.

E-Mails an: wolfgang.boehm@diepresse.com

("Die Presse", Print-Ausgabe, 27.09.2011)

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