Die unerträgliche Leichtigkeit der EU-Politik

Das Ende der politischen Trickserei rund um die Schuldenkrise und den Euro ist erreicht – auch wenn einige Regierungen noch nicht bereit sind, das zu akzeptieren.

Plötzlich geht es um alles. Es geht um Banken, um Griechenland, den Euro, die Zukunft der EU und um die Glaubwürdigkeit der Politik. Tage- und nächtelang wird seit vergangenem Mittwoch eine „globale“ Lösung für die europäische Schuldenkrise gesucht. Es gibt keine Variante mehr, die kein Risiko in sich birgt, es gibt keine Strategie mehr, die nicht weitere Auswirkungen hätte. Und jeder fragt sich, wie es eigentlich so weit kommen konnte.

Zu lange haben sich die Staats- und Regierungschefs der Union mit kleinen und großen Tricks um die eigentlichen Probleme gedrückt. Sie glaubten lange, das Problem allein mit Geld lösen zu können. Kredite und Haftungen sollten eine Beruhigung der Märkte bringen. Die Geldmenge und die Konstruktion dieses Rettungsschirms wurde ständig ausgeweitet. Als sich abzeichnete, dass solche Tricks nicht ausreichen, kaufte die Europäische Zentralbank marode Staatsanleihen auf. Es war ein Sündenfall.

Auch bei diesem EU-Gipfel hätten gern einige Staats- und Regierungschefs diese unsägliche Tradition weitergeführt. Frankreichs Staatspräsident Nicolas Sarkozy etwa forderte eine weiche Abfederung für Banken durch die Europäische Zentralbank. Das wäre eine hochriskante Strategie, die letztlich die Euro-Stabilität weiter untergraben würde. Oder Bundeskanzler Werner Faymann, der nach wie vor keine Notwendigkeit für eine EU-Vertragsänderung – also einen strengen politischen Rahmen für die Stabilität des Euro – sieht. Ihm liegt offenbar sein einstiges Versprechen von Volksabstimmungen schwer im Magen. Gleichwohl wirkt die österreichische Führung schon seit Monaten so, als hätte die aktuelle Krise keine Bedeutung für unser Land. Einmal ist sie für eine gemeinsame Wirtschaftsregierung, dann wieder dagegen. Einmal kritisiert sie Merkel und Sarkozy für ihre Dominanz, dann lässt sie aber jedes eigene Engagement vermissen.

Dieses Hinwegmogeln ist unerträglich geworden. Es ist der Grund für den heutigen Zustand der EU und auch dafür, dass sich das durchaus bewältigbare Problem Griechenland zu einer europaweiten Krise ausgeweitet hat. Längst ist klar, dass nicht nur Athen, sondern die meisten EU-Regierungen mit ihrer Fiskalpolitik unverantwortlich agiert haben. Es ist augenscheinlich, dass diese Schuldenkrise auch eine Krise der Banken ist. Und es ist offensichtlich, dass die Währungsunion völlig falsch konstruiert wurde. Ihre Konzeption war fast ausschließlich auf Deutschland abgestimmt; den politischen Rahmen aber, mit dem andere EU-Länder auf einen solchen Hartwährungskurs gedrängt werden konnten, blieb der damalige Maastricht-Vertrag schuldig. So liegt die Situation nun in sämtlichen früheren Weichwährungsländer im Argen – von Griechenland über Spanien bis Italien.

Die Euroländer müssen nun noch mehr Geld als erwartet für die Rekapitalisierung von Banken bereitstellen. Der Euro-Schutzschirm muss noch größer werden. Doch die Potenzierung der finanziellen Gegenmaßnahmen wird wieder nicht ausreichen. Längst steht fest, dass auch die Politik ihre Rolle neu definieren muss.

Die Zeit, als Banken Politik gemacht haben und die Politik nur als deren willfähriges Instrument agiert hat, läuft ab. Zu deutlich ist geworden, dass die Banken diese Krise verstärkt haben. Sie waren bereit, Kredite zur Verfügung zu stellen, deren Zinsen zu kassieren, doch nicht das Risiko zu tragen. Das war bei ihren Geschäften mit zwielichtigen privaten Investoren in Südosteuropa das Gleiche wie bei Staatsanleihen für marode Länder.

Die gemeinsame europäische Politik muss aber auch ihre Stärke gegenüber mächtigen Ländern wie Italien oder Frankreich zurückgewinnen. Die fiskalen Fesseln für das auf dem Boden liegende Griechenland sind ein leichtes Spiel gegen die Herausforderungen, die jetzt in Rom und Paris warten. Denn auch wenn Banken zu Recht in den Fokus geraten: Sie haben zwar das Schuldenmachen erleichtert, sie können aber nicht auch noch für fahrlässige politische Entscheidungsträger in Italien, Frankreich und anderen EU-Ländern angeprangert werden, die ihren Wählern über viele Jahre hinweg den Schein des allumfassenden, risikolosen Wohlstands vermittelt haben.

E-Mails an: wolfgang.boehm@diepresse.com

("Die Presse", Print-Ausgabe, 24.10.2011)

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