Nĭhao, Präsident Hu Jintao! Keine Angst vor China

Chinas großer Sprung nach vorn: Während die Sorge vieler Menschen in Europa vor dem Aufstieg des Reichs der Mitte überwiegt, dominieren tatsächlich die Chancen.

Wenn Chinas Staatspräsident Hu Jintao heute Österreich besucht, so kommt er in ein Land, das gerade einmal so groß ist wie die zwischen Peking und Shanghai gelegene Stadt Nánjīng. Chinas Bevölkerung entspricht 163-mal jener Österreichs, in China hätte Österreich rund 115-mal Platz. Immerhin: In puncto Wirtschaftsleistung steht Österreich auf Platz 35, China auf Platz zwei, in Wirtschaftsleistung per Capita steht das reiche Österreich mit 40.400 Dollar pro Kopf an 19. Stelle, China liegt trotz enormer Fortschritte mit 7600 Dollar nur auf Rang 125.

Es wird also ein Treffen zweier recht ungleicher Partner sein, wenn Hu Jintao zuerst einmal Wiener Boden betritt. Hu ist übrigens der zweite chinesische Präsident, der Österreich besucht, 1999 war Staatschef Jiang Zemin zu Gast in Wien.

Die Beziehungen zwischen beiden Ländern sind gut, sogar so gut, dass Peking es ignoriert hat, dass Bundeskanzler Werner Faymann und Außenminister Michael Spindelegger bei ihren China-Besuchen demonstrativ mit Regimegegnern zusammengetroffen sind. Man kann davon ausgehen, dass Bundespräsident Heinz Fischer auch jetzt bei Hus Besuch Menschenrechtsfragen anschneiden wird. Die Sorge, dass die Schrauben vor dem planmäßigen Machtwechsel in Peking im Jahr 2012 nämlich weiter angezogen werden, sind durchaus berechtigt.

Doch wie immer bei Staatsbesuchen geht es vor allem um wirtschaftliche Fragen: Hu Jintao hat eine recht große Wirtschaftsdelegation im Schlepptau. Österreich spielt für China eine wichtige Rolle in seiner transdanubischen Europa-Strategie: Nicht nur, dass China bei seinem Besuch Ende Juni in Ungarn dem ungarischen Premier Victor Orbán umfangreiche Finanzhilfen zugesagt und der bulgarische Finanzminister beim World Economic Forum in Tianjin für chinesische Investitionen in seinem Land geworben hat – für China sind die ostmitteleuropäischen Länder das Eintrittstor in die Europäische Union. So sind die Löhne in Rumänien oder Bulgarien nicht wesentlich höher als in der chinesischen Hightech-Provinz Guangdong (Kanton), man hat aber den Vorteil des direkten Zugangs zu den Märkten der Europäischen Union. Und Wien ist eben nach wie vor ein wichtiges Kompetenzzentrum für diesen Raum. Wirtschaftsanwälte, Finanzdienstleister und Beratungskanzleien sind auf diesen Markt spezialisiert, und wichtige chinesische Firmen wie die Telekom-Unternehmen Huawei und ZTE haben in Wien Schlüsselniederlassungen.

Umgekehrt sind österreichische Firmen in China höchst erfolgreich: Von der Raiffeisen Bank International, dem Leiterplattenhersteller AT&S bis zum Spezialfahrzeughersteller Rosenbauer oder der Stempelfirma Trodat. Österreich gehört – neben anderen Exportnationen wie vor allem Deutschland – zweifelsohne zu den Profiteuren des Aufstiegs von China.

Dennoch: Wenn man die Werte einer im Frühjahr dieses Jahres vom Pew Institute erhobenen Umfrage betrachtet, kommt man zu dem Schluss, dass China von keinem der darin vorkommenden europäischen Länder so kritisch gesehen wird wie von Deutschland. 59Prozent stehen dort dem Reich der Mitte eher negativ gegenüber, gefolgt von Frankreich (49 Prozent). Man kann getrost davon ausgehen, dass Österreich nicht mit mehr Weltoffenheit gesegnet ist wie seine deutschen Nachbarn.

Angst vor China ist kein guter Ratgeber: China ist eine Herausforderung, die man annehmen sollte. Der „New York Times“-Kolumnist Tom Friedman stilisiert Chinas Aufstieg gar zum „Sputnik-Moment“ hoch, der Amerika 1957 dazu angespornt hat, technische Höchstleistungen zu erbringen. Die Idee könnte man aufgreifen und die Stärken Europas betonen: Kreativität und Tüftelei, das ganze akkurat ausgeführt. Chinas Aufstieg ist eine Chance, auch politisch. Denn der unipolare Moment der US-Dominanz ist vorbei und muss einem multilateralen System weichen, in dem die Vereinten Nationen und die G20 an Bedeutung gewinnen. Die Europäer sind aufgrund ihrer Erfahrungen innerhalb der EU geborene Multilateralisten und wären für eine solche Zukunft gut gerüstet.

E-Mails an: thomas.seifert@diepresse.com

("Die Presse", Print-Ausgabe, 31.10.2011)

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