Die Zeit für unangenehme Entscheidungen ist gekommen

Ohne Vertrauen der Geldgeber bleibt der Eurozone nur die Hyperinflation oder ihre Verkleinerung. Letzteres dürfte schmerzhafter, langfristig aber erfolgreicher sein.

Es war der Tag, an dem die Krise „Kerneuropa“ erreichte. Am Dienstag fielen die Kurse europäischer Staatsanleihen drastisch – darunter erstmals auch jene von AAA-Ländern wie den Niederlanden, Finnland oder Österreich. Spätestens jetzt sollte klar sein, dass die Probleme in Europa wesentlich dramatischer sind, als es die Politik – zumindest offiziell – wahrhaben will.

Fallende Anleihenkurse (= steigende Renditen) bedeuten nämlich nicht, dass „die Finanzmärkte verrückt spielen“, wie oft zu hören ist. Es bedeutet, dass die Geldgeber weniger Vertrauen in die Kreditwürdigkeit der Länder haben. Etwa, weil diese sich verschulden, damit ihre Bürger weiter rund 25 Jahre lang „wohlverdiente“ Pensionen beziehen können. Daher wollen die Investoren höhere Zinsen, oder sie sind gar nicht mehr bereit, gewissen Ländern Geld zu leihen. Verständlich. Niemand würde einem Bekannten, der gerade dabei ist, in Privatkonkurs zu schlittern, ein paar tausend Euro borgen, damit dieser seinen Lebensstil halten kann.

Ohne Geldgeber, die den Euroländern frische Kredite geben, ist es für die Schuldnerstaaten unmöglich, ihr ökonomisches, soziales und auch politisches System aufrechtzuerhalten. Daher muss das Vertrauen der gar nicht so ominösen Finanzmärkte zurückgewonnen werden. Angekündigte Schuldenbremsen sind dabei eine feine Sache. Wirken können sie aber nur, wenn auch echte Reformen folgen. Die zu reformierenden Bereiche – Verwaltung, Föderalismus, Pensionen, Gesundheitssystem, Subventionen – sind bekannt. Bislang war der Druck aber zu gering, um die allesamt unpopulären Maßnahmen anzugehen.

In Österreich und anderen nördlichen Euroländern ist es noch nicht zu spät, das Ruder herumzureißen. Wesentlich prekärer ist die Situation in den Krisenländern des Südens. Diese bemühen sich nun zwar redlich, grundlegende Reformen umzusetzen. Dass diese jedoch reichen, um das Vertrauen bei den Geldgebern wieder zu gewinnen, ist alles andere als gesichert. Gelingt es auch mittelfristig nicht, Investoren eine Anlage in europäischen Staatsanleihen wieder schmackhaft zu machen, wird die Eurozone vor einer Weggabelung stehen, deren Alternativen nicht angenehm sind. Die wahrscheinlichste Variante, um aus dem Schlamassel herauszukommen, ist, dass die Druckerpressen der EZB angeworfen werden. Mit neuen Scheinen kann die Zentralbank die Schulden der Krisenländer bequem abzahlen, indem sie Staatsanleihen aufkauft.

Allerdings dürfte dadurch eine Hyperinflation entstehen, durch die mittelfristig sämtliche Ersparnisse entwertet werden. Zudem bekämpft das Drucken von Geld nur die Symptome, nicht die Ursache. So war etwa Italien über Jahrzehnte gewohnt, seine Wirtschaft durch das Abwerten der Lira wettbewerbsfähig zu halten. Seit dem Euro geht das nicht mehr. Daher verlieren Italiens Firmen sukzessive an Konkurrenzfähigkeit. Ob sich diese Wirtschaftskultur nun in wenigen Monaten ändern lässt, ist fraglich.


Es könnte also sein, dass die bisher mit Denkverbot belegte Verkleinerung der Eurozone die bessere Variante ist. Natürlich gäbe es auch hier große Probleme – allen voran jenes, die Krisenländer davon zu überzeugen, dass es auch in ihrem Interesse ist, den Euro zu verlassen. Zudem müsste eine Lösung für die Euroschulden der Länder gefunden werden, da diese aufgrund der Abwertung ihrer neuen Währungen sonst sofort bankrott wären.

Einige Juristen meinen, dass es möglich sei, diese zum ursprünglichen Wechselkurs in Drachmen oder Lira zurückzuwechseln und die neue Währung erst danach abzuwerten. Wenn das nicht geht, müsste es einen deutlichen Schuldenschnitt geben. Die Kosten dafür hätten in jedem Fall die restlichen Euroländer zu tragen, indem sie ihre Banken retten. Nach einem Euro-Austritt hätten die Krisenländer jedoch wieder die Freiheit, ihre Währungen an die eigene wirtschaftliche Kraft anzupassen.

Noch lebt die Hoffnung, dass es so weit nicht kommen muss. Denn ein Austritt einzelner Euroländer käme einer Zerreißprobe für die Europäische Union und ihr Finanzsystem gleich. Langfristig könnte dies aber die einzige Möglichkeit sein, das Projekt Euro noch zu retten.

E-Mails an: jakob.zirm@diepresse.com

("Die Presse", Print-Ausgabe, 17.11.2011)

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