Lasst uns den Mann mit dem Schlapphut verprügeln

Österreichische Politiker behaupten, sie hätten auf Ratings keinen Einfluss. Auf eine gewisse, allerdings niederschmetternde Art stimmt das vielleicht auch.

Sie sind da“, raunt man sich dieser Tage in Wien zu. Die Mutmaßungen über die Anwesenheit von Mitarbeitern der Ratingagentur Moody's in der Reichs- und Welthauptstadt der Ratingagenturverachtung hören sich ein wenig so an, als tausche man bange Befürchtungen über die nächtliche Landung außerirdischer Wesen mit siebzehn Ohren, 50 Haifischzähnen und gepanzerten Dinosaurierschwänzen aus.

Ja, tatsächlich, sie sind da, mehr noch: „Sie sind immer da“, beteuerte am Freitag ein österreichisches Regierungsmitglied im Gespräch mit dieser Zeitung, und es ließ sich ein leicht verschwörerischer Unterton nicht ganz verleugnen. Vielleicht tragen sie ja schwarze Schlapphüte und Staubmäntel und schauen aus wie der Typ aus der Merkur-Werbung, den sie irgendwann einmal verprügelt haben, weil er, Anonym, die bittere Wahrheit verkündete: „Es ist verdammt hart, der Beste zu sein.“

Heutzutage, das zeigt die Zinsentwicklung auf dem Staatsanleihenmarkt, ist es sogar schon verdammt hart, nicht der Schlechteste zu sein. Wie konnte es kommen, dass Österreich möglicherweise in absehbarer Zeit auch schriftlich bescheinigt wird, was die Märkte bereits jetzt sagen, dass nämlich das Land nicht mehr über die höchste Bonität verfügt?


Puh, sagen die Politiker, schwer zu sagen. Wir Österreicher hätten darauf ja keinen wie immer gearteten Einfluss, erklärte vor Kurzem der Außenminister. Wenn das stimmt, dann auf eine niederschmetternde Weise, nämlich dadurch, dass wir nichts tun. Man sollte von so jemandem nicht nur keine Staatsanleihe, sondern nicht einmal einen gebrauchten Ärmelschoner kaufen.

Aber Michael Spindelegger ist mit seiner Ansicht nicht allein. Es ist auf Regierungsebene Common Sense, dass die Debatte über die österreichische Bonität eine Verschwörung von maximal zehn Entscheidern ist – Chinesen, Amerikanern, Indern vielleicht, sicher Russen, die üblichen Verdächtigen halt –, die die Stabilitätsfestung Europa aus Geldgier sturmreif schießen wollen.

Man ist schon zufrieden, wenn beim Vortrag solcher Verschwörungstheorien auf jene milden Formen des Antisemitismus – Stichwort „Ostküste“ – verzichtet wird, mit denen dieser Eintopf aus Ratlosigkeit, Überforderung und Gutgläubigkeit üblicherweise gewürzt wird.

Die Frage, ob es denn nicht sein könnte, dass die Käufer von Staatsanleihen immer höhere Zinsen verlangen, weil sie es für immer unwahrscheinlicher halten, am Ende der Laufzeit ihr eingesetztes Kapital vollständig wiederzubekommen, und ob dieses schwindende Vertrauen nicht etwas mit der Zaghaftigkeit der österreichischen Reformbemühungen zu tun haben könnte, wird schlichtweg für unzulässig erklärt: Papperlapapp, es habe sich doch während der zehn Tage, in denen die Zinsaufschläge signifikant gestiegen seien, nichts, absolut nichts verändert.

Eben.


Natürlich ist gegenüber Ratingagenturen und ihren Bewertungen Skepsis angebracht. Sie machen Fehler, und diese Fehler können für die Betroffenen dramatische Auswirkungen haben. Aber die Idee, man bräuchte neue Gesetze, um Ratingagenturen für Fehler zur Verantwortung zu ziehen, kann nur in Gesellschaften aufkommen, in denen man den Wettbewerb nur vom Hörensagen kennt. Außerdem: Wer zieht denn all die anderen Prognostiker und Bewerter, von der Finanzministerin („Es gibt sicher keinen Schuldenschnitt“) bis zum NotenbankGouverneur („Das österreichische Bankensystem ist robust“) zur Verantwortung ? Die Dämonisierung der Ratingagenturen ist nichts weiter als eine billige Ausrede für die eigene Untätigkeit. Staaten wie Österreich, die es nicht schaffen, ihr strukturelles Defizit abzubauen und sich deshalb auch in Zeiten der Hochkonjunktur verschulden müssen, beklagen sich tatsächlich darüber, dass die Ratingagenturen erst jetzt, obwohl doch gar nichts passiert sei, Druck ausüben. Das ist fast schon wieder witzig.

Die Versuchung, den Mann mit dem Schlapphut zu verprügeln, der einen dabei ertappt hat, dass man dem Publikum schlechte Qualität unterjubeln wollte, ist irgendwie verständlich. Aber eben auch sehr entlarvend.

E-Mails an: michael.fleischhacker@diepresse.com

("Die Presse", Print-Ausgabe, 19.11.2011)

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