Die Amerikaner schreiben uns was vor? Nicht ganz zu Unrecht

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Die Ablehnung, die transkontinentalen Ratingagenturen in der EU entgegenschlägt, sagt eine Menge aus. Vor allem über die fehlende Kapazität, Probleme zu erkennen.

Lange hat es gedauert, aber nun liegt endlich eine allgemein verständliche Erklärung auf dem Tisch, wer in Wahrheit für die europäische Staatsschuldenkrise verantwortlich ist. Licht ins Dunkel brachte der oberösterreichische Raiffeisen-Mann Ludwig Scharinger, der laut Austria Presse Agentur „scharfe Worte" fand. Nämlich für die Androhung der Ratingagentur Standard & Poor's, die Kreditwürdigkeit der gesamten Eurozone abzusenken, wodurch sich die Neuverschuldung aller Mitgliedstaaten empfindlich verteuerte. Das, so empörte sich Scharinger, „gleicht einem angloamerikanischen, imperialistischen Vorgehen!"

„Scharfe Worte", in der Tat. Irgendwie ist man schon erleichtert, dass wenigstens das Wort „Ostküste" nicht gefallen ist, das zwischen den Begriffen „angloamerikanisch" und „imperialistisch" hin und her schwingt. Was freilich nichts daran ändert, dass Scharinger mit seiner Einschätzung die Stimmung im Volk ziemlich gut wiedergibt. Nicht zuletzt deshalb, weil die politische Führung Österreichs seit Monaten den Verdacht nährt, dass unschuldige Länder Opfer einer üblen Verschwörung „US-amerikanischer" Ratingagenturen geworden wären. Unter dem Gejohle der Boulevardmedien schimpfen Kanzler und Minister ohne Genierer auf das „internationale Spekulantentum", unter dessen Fuchtel auch die Ratingagenturen stünden.

Statt sich in haltlosen Theorien zu verlieren, wäre es freilich zielführender, ein paar unangenehmen Wahrheiten ins Auge zu sehen. Zum Beispiel jener, dass niemand anderer als die Eurostaaten das beherrschbare Miniproblem Griechenland zu einer existenziellen Krise der Gemeinschaftswährung heranwachsen ließen. Oder jener, dass die desaströsen Staatsfinanzen nicht wie gern dargestellt eine direkte Folge der Banken- und Finanzkrise sind. Vielmehr ist es so, dass die Kosten der Banken- und Finanzkrise die seit Jahren betriebene Hochstapelei der Euroregierungen eskalieren ließ. Die Schuldenstände der Eurostaaten sind zwar gestiegen, weil zahlreiche Banken aufzufangen waren - explodiert sind sie aber, weil fast alle nationalen Regierungen in den wirtschaftlich guten Jahren nicht ihre angeschlagenen Budgets in Ordnung brachten, sondern immer weitere Mittel zur Bestechung des ohnehin verwöhnten Wahlvolks bereitstellten. Gelder, die leider noch nicht verdient waren und deshalb auf den Märkten geliehen werden mussten.

Und wie versuchen die Euroländer das Problem notorisch überzogener Staatsausgaben nun in den Griff zu kriegen? Mit noch höheren Staatsausgaben, einem permanenten Bruch des Stabilitätspaktes und einer Vergewaltigung der Europäischen Zentralbank, die auf Geheiß der Politik die Notenpresse anzuwerfen hat. Das sind nicht gerade jene Argumente, mit denen das Vertrauen potenzieller Geldgeber in die Eurozone zurückzuholen ist. Angelastet wird die fehlende Attraktivität dieser Lösungsansätze natürlich nicht den Vertretern nationaler Regierungen, sondern - richtig: den „US-amerikanischen Ratingagenturen", die ja nichts anderes im Schilde führen, als Europa zu schaden. Vermutlich ist das auch der Grund dafür, dass Standard & Poor's im August des heurigen Jahres den USA das „Triple A" entzogen hat. Auch das ein glasklarer Fall von „angloamerikanisch-imperialistischem Vorgehen"!

Noch ist es nicht zu spät. Noch könnten die Regierungen erkennen, dass nicht die Ratingagenturen ihr großes Problem sind. Sondern die Mutlosigkeit in den eigenen Reihen. Dass die Androhung einer Herabstufung neuerlich vor einem EU-Gipfel eingetroffen ist, mag kein Zufall sein. Das könnten die Staats- und Regierungschefs aber auch als große Chance verstehen. Als eine Art Weckruf, endlich jene Reformen zu verabschieden, die in der Lage sind, das europäische Wohlfahrtssystem samt Gemeinschaftswährung vor dem Untergang zu retten. Genau darum geht es nämlich.

Zu schaffen ist das nicht, indem die EZB Geld druckt, mit dem sich die Staaten Wirtschaftswachstum erkaufen können. Sondern, indem sie ihre Haushalte in Ordnung bringen. Das ist unangenehm - aber in jedem Fall nachhaltiger, als Ressentiments zu bedienen und Verschwörungstheorien zu spinnen.

E-Mails an: franz.schellhorn@diepresse.com

("Die Presse", Print-Ausgabe, 07.12.2011)

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