Jetzt Geld ausgeben, bevor es wertlos ist

Das Weihnachtsgeschäft brummt trotz der Krise. Die Österreicher kaufen, als ob es kein Morgen gäbe. Das ist gar keine schlechte Strategie.

Die Wirtschafts- und Finanzkrise ist an Dramatik nicht mehr zu überbieten, wenn man die Schlagzeilen der vergangenen Tage verfolgt: Zerbricht die Eurozone? Steht uns eine Währungsreform bevor? Die Chefin des Internationalen Währungsfonds, Christine Lagarde, vergleicht die aktuelle Situation mit den 30er-Jahren des vergangenen Jahrhunderts. Damals brachte ein Börsencrash Millionen von Arbeitslosen und den Zusammenbruch der globalen Wirtschaft. Der Zweite Weltkrieg war ein Ergebnis dieser Entwicklung.

Dabei ist die europäische Schuldenkrise in der breiten Bevölkerung noch gar nicht angekommen. In Deutschland und in Österreich kaufen die Menschen wie verrückt. Am vierten Adventsamstag wurden die Shoppingzentren gestürmt. Allein in Wien sollen 850.000 Leute unterwegs gewesen sein, um Flachbildfernseher, Spielkonsolen, Schmuck oder Sportartikel zu ergattern. Noch ist das Weihnachtsgeschäft nicht gelaufen. Doch die Wiener Wirtschaftskammer zieht bereits eine positive Bilanz. Die Umsätze sollen sich auf dem hohen Niveau des Vorjahres bewegen.

Wie passt das zusammen? Beim Frühstück liest man in der Zeitung, dass die Regierungen verzweifelt neue Milliardenpakete schnüren, um die Eurokrise einzudämmen. Und dann geht der Durchschnittsösterreicher shoppen, als gäbe es kein Morgen mehr. Der deutsche Psychologe Stephan Grünewald nennt das Phänomen „Konsumkarneval“. Der Karneval ist das Fest der letzten Stunde: Alle wissen, dass schon bald der Aschermittwoch mit der Fastenzeit anbrechen wird, trotzdem lässt man es noch einmal so richtig krachen.

Viele Österreicher erleben die Krise als mediale Drohkulisse. Das Weihnachtsgeld wurde pünktlich überwiesen, die Arbeitslosigkeit ist niedrig. Zwar streiten die Regierungsparteien SPÖ und ÖVP über ein Sparpaket, das Milliarden bringen soll. Doch die wenigsten fühlen sich davon persönlich angesprochen. Zwar könnte es Steuererhöhungen geben. Doch wenn man den Politikern glauben darf, sollen davon ohnehin nur Millionäre und Immobilienspekulanten betroffen sein.

Der Tanz auf dem Vulkan ist freilich trügerisch. Anders als in Österreich und in Deutschland kommt in vielen europäischen Krisenländern zu Weihnachten keine Feierstimmung auf. In Griechenland gingen heuer 60.000 Händler pleite. In den Athener Einkaufsstraßen ist fast jedes zweite Geschäft geschlossen. In Spanien verzichten einige Städte auf die Festtagsbeleuchtung.

Trotzdem ist es zu begrüßen, wenn die Österreicher jetzt den Konsum ankurbeln. Was sollen sie sonst mit ihrem Geld machen? Auf die Bank legen? Angesichts der niedrigen Zinssätze und der hohen Inflationsrate ist Sparen ein Verlustgeschäft. In Aktien investieren? Diese haben bereits stark an Wert verloren – und niemand weiß, wie lange die Talfahrt an den Börsen anhalten wird. Viele lösen Sparbücher und Lebensversicherungen auf, um eine Eigentumswohnung zu kaufen. Das kann unter Umständen nützlich sein. Doch mittlerweile sind die Immobilienpreise in vielen Städten auf ein Rekordhoch gestiegen, sodass vor einer Blase gewarnt wird. Als bombensicheres Investment bleibt nur noch Gold übrig. Doch auch hier brauchen Anleger starke Nerven. In den vergangenen Wochen ist der Preis für das Edelmetall gesunken. Jetzt warnt die Schweizer Großbank UBS, dass Gold den Status als sicherer Hafen verloren habe.

Irgendwann werden die Euroländer die hohen Schuldenberge abtragen müssen. Weil den Regierenden der Mut fehlt, harte Sparpakete durchzusetzen, steuern wir auf ein Zeitalter der „finanziellen Repression“ mit negativen Realzinsen zu. Dabei werden die Zinsen für Sparer niedrig gehalten, während die Inflationsraten steigen. Auf diese Weise haben sich die USA nach dem Zweiten Weltkrieg saniert. 1945 waren dort die Staatsschulden auf 120 Prozent des Bruttoinlandsprodukts explodiert. Über negative Realzinsen ist dieser Wert zehn Jahre später auf die Hälfte gesunken. Die Zeche bei dieser schleichenden Form der Enteignung zahlen Sparer, Inhaber von Lebensversicherungen und Pensionskassen. Daher ist es sinnvoll, jetzt das Geld auszugeben – bevor es weg ist.


E-Mails an: christian.hoeller@diepresse.com

("Die Presse", Print-Ausgabe, 19.12.2011)

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