Es werden noch mehrere "Überraschungen" folgen

Für Österreichs Regierung kam der Verlust des Triple A aus heiterem Himmel. Anstatt ernsthafte Reformen anzugehen, wird genauso weitergemacht wie bisher.

Als am späteren Freitagnachmittag erste Gerüchte auftauchten, dass Österreich die beste Kreditwürdigkeit verlieren würde, herrschte im Kanzleramt Alarmstufe Rot. Eiligst wurde an einer Aussendung gefeilt, um den Bürgern zu erklären, warum Standard & Poor's die Alpenrepublik nicht mehr zu den verlässlichsten Schuldnern zähle. Schnell waren die Gründe gefunden: Sicher nicht die Schuldenpolitik der vergangenen Jahre ist an der Herabstufung schuld, sondern die Ratingagentur, mitsamt ihren politischen Motiven und US-amerikanischen Eigentümern. „Unverständlich“ und „überraschend“ sei der Verlust des Triple A, gaben Kanzler Werner Faymann und sein Vize, Michael Spindelegger, schließlich bekannt.

Das muss man sich auf der Zunge zergehen lassen.

Seit Monaten beherrschen mögliche Herabstufungen von Frankreich und Österreich die Wirtschaftsseiten nationaler und internationaler Zeitungen. Bereits im November warnten viele davor, dass die Alpenrepublik die Bestnote verlieren könnte. Moody's bestätigte zwar das Triple A, wies aber darauf hin, dass „Österreich schnelle und richtungsweisende Entscheidungen“ treffen müsse. Standard & Poor's senkte im Dezember den Daumen und sprach von einer Entscheidung innerhalb von 90 Tagen. Spätestens dann hätte jedem klar sein müssen, dass der Hut brennt. Aber nicht doch – „überraschend“ sei sie gekommen, die Herabstufung.

Nun könnte man den Warnschuss von Standard & Poor's nützen und sich daranmachen, das Budget zu sanieren. Die Schiedsrichter haben Österreich nicht nur das Triple A entzogen, sondern auch den Ausblick auf „Negativ“ gesenkt. Das wiegt deutlich schwerer, denn die Topbonität hat die Republik de facto ohnehin schon lange eingebüßt, wie der Anstieg der Rendite auf zehnjährige Staatsanleihen zeigt. Dass aber auch die zweitbeste Stufe, AA+, gehörig wackelt, ist mehr als besorgniserregend und sollte eigentlich Ansporn genug sein, den Kurs zu ändern, bevor uns ein italienisches Schicksal blüht.

Dass die Regierung an eine Kursänderung nicht denkt und stattdessen bei der Fahrt in Richtung weitere Herabstufung aufs Gas steigt, zeigt der zweite Teil der Reaktion auf den Verlust des Triple A: „Unverständlich.“ Das wirft freilich die Frage auf, was daran nicht zu verstehen ist, dass ein Land, das es seit Jahren schafft, das Defizit zu erhöhen, obwohl die Staatseinnahmen einen Rekordwert nach dem anderen erreichen, nicht mehr als Schuldner bester Bonität gilt.

Dabei wäre es relativ einfach, die Verschuldung zu reduzieren. Die öffentliche Hand könnte sich sämtliche Steuererhöhungen – die sie uns als „Einsparungen“ zu verkaufen gedenkt – sparen, wenn sie bloß genauso viel wie bisher ausgeben würde. 2010 stiegen die Staatseinnahmen um 3,8 Mrd. Euro auf 137,8 Mrd. Euro. Während sich also die Volksvertreter öffentlichkeitswirksam den Kopf darüber zerbrechen, wie sie zwei Mrd. Euro „einsparen“ wollen, müssten sie in Wahrheit nur jährlich um zwei Mrd. Euro statt wie zuletzt um fünf Mrd. Euro mehr ausgeben – den Rest erledigen ohnehin die Steuerzahler.


Natürlich haben Faymann und Spindelegger recht, wenn sie betonen, dass auch das hohe „Exposure“ der Banken in einem sich konjunkturell abkühlenden Osteuropa sowie die prekäre Situation Italiens zu der Herabstufung beigetragen haben. Umso klüger wäre es daher, sich einen Polster für härtere Zeiten zu schaffen. Dass es in höchstem Maße ungerecht wäre, wenn die Steuerzahler dem Finanzsektor erneut unter die Arme greifen müssten, steht außer Frage. Dass es im Fall der Fälle so kommen wird, um die Spareinlagen der Kunden zu retten, ebenfalls.

Eine weitsichtige Regierung zeichnet sich dadurch aus, dass sie sich auf möglichst viele Eventualitäten durch umfassende Reformen vorbereitet – anstatt verzweifelt nach neuen Steuern zu suchen, um kurzfristig Löcher zu stopfen. Dass sich Faymann und Spindelegger längst für den zweiten Weg entschieden haben, zeigt nicht zuletzt die „Überraschung“ über die Herabstufung durch Standard & Poor's. Wir können davon ausgehen, dass noch weitere „Überraschungen“ folgen werden.

E-Mails an: stefan.riecher@diepresse.com

("Die Presse", Print-Ausgabe, 16.01.2012)

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