Ungarn: Versuchszentrum für die Simplifizierung der Politik

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Die Regierung Orbán hat das Land heruntergewirtschaftet, international isoliert und setzt nach wie vor auf einen kuriosen Nationalismus abseits realer Gegebenheiten.

Die Wellen waren normal: Der Eiserne Vorhang fiel, löste eine Welle der Begeisterung für den Westen aus, dann kam die Welle des Rückzugs in die eigene Nation, schließlich die Einordnung des Landes in die realen Gegebenheiten einer veränderten internationalen Staatengemeinschaft. Alle mittel- und osteuropäischen Reformstaaten haben diese Gezeiten des Umbruchs mitgemacht, sind kurzfristig gestrauchelt, aber mittelfristig doch zu stabilen Demokratien geworden. Ungarn wankt seit Jahren, hat sich geöffnet, verschlossen und fällt derzeit wieder zurück in einen überholten Nationalismus. Eine Stabilisierung ist nicht abzusehen. Das von der EU-Kommission eingeleitete Vertragsverletzungsverfahren wegen politischer Unterwanderung von Justiz, Notenbank und Datenschutzbehörde ist nur ein Symptom dieser Fehlentwicklung.

Regierungschef Viktor Orbán ist als Wirtschaftsliberaler angetreten, hat sich zum Nationalisten gewandelt und hat mit dieser Metamorphose sein Land in eine problematische Isolation getrieben. Statt sich nach dem Desaster der sozialistischen Regierung unter Ferenc Gyurcsány den brennenden Wirtschaftsproblemen zu widmen, konzentrierte er sich auf den Ausbau der Macht in allen staatlichen Organisationen. Von einem augenscheinlichen Verfolgungswahn vor internen Kritikern getrieben, setzte er Vertrauensleute an alle wichtigen Positionen. Und dort, wo das nicht ging, nutzte er die Zweidrittelmehrheit seiner Fidesz im Parlament, um die Umfärbung per Gesetz durchzusetzen.

Ob Medienbehörde, Datenschutzbehörde oder Richterbestellung – Orbán konstruierte ein neues Ungarn, in dem Machtausgleich und demokratische Kontrollmechanismen nach und nach außer Kraft gesetzt werden. Mit nachhaltigem Schaden. Um all das zu rechtfertigen, setzte er auf eine einfache populistische Rhetorik. Er appelliert an den Nationalstolz, befriedigt Vorurteile gegen Andersdenkende und nutzt die zunehmende internationale Isolation, um die eigenen Reihen noch fester zu schließen. Wer sich daran nicht beteiligt, wird als Landesverräter abgestempelt. So wie der Pianist András Schiff, der es gewagt hat, die politischen Verhältnisse in seiner Heimat in einem Beitrag für die „Washington Post“ zu kritisieren, und daraufhin von Regierungsanhängern verunglimpft, sogar als „Saujude“ beschimpft wurde.

Da es wirtschaftlich bergab geht, setzt die Regierung auf einfache Parolen. Ungarn wird zum Versuchszentrum einer simplifizierten Politik, in der Realitäten der internationalen Wirtschaftsvernetzung ebenso ausgeblendet werden wie notwendige Grundregeln für die Selbstreinigung staatlicher Institutionen. Um für die Bevölkerung eine emotionale Perspektive anzubieten, das eigene Scheitern zu verbergen, wird die Schuld für ökonomische Verwerfungen ausländischen Konzernen und Banken zugeschoben. Per Gesetz sollten internationale Investoren geschröpft, Banken zur Konvertierung ihrer Kredite gezwungen werden. Ein simpler Akt der Realitätsumkehrung zur Bedienung der Neidgesellschaft. Denn ohne Investoren, ohne internationale Wirtschaftskooperation wird Ungarn auch in Zukunft keine Meter machen.

Dass Ungarn ökonomisch immer stärker abgleitet, wird gern auch der sozialistischen Vorgängerregierung in die Schuhe geschoben. Das mag seinen wahren Kern haben. Viktor Orbán war freilich zwischen 1998 und 2002 bereits einmal selbst Regierungschef einer Koalitionsregierung. Zu einer notwendigen Restrukturierung der ungarischen Wirtschaft, einer stärkeren Wettbewerbsfähigkeit hat auch diese Episode wenig beigetragen. Und das war lange vor der aktuellen Wirtschaftskrise.

Auf simplem Weg wird dieses Land nicht aus der Krise finden, ohne Hilfe europäischer Partner wohl auch nicht. Dessen muss sich auch Österreich bewusst sein. Es ist unser nahes „Griechenland“. Ungarn straft alle Lügen, die in der Renationalisierung die Antwort auf aktuelle ökonomische Herausforderungen sehen. Ungarn hat nicht den Euro, sondern eine eigene Währung, kann also abwerten, seine Wettbewerbsfähigkeit zumindest kurzfristig stimulieren. Doch wo nichts ist, kann auch nichts werden. Es fehlt an der Basis, an der Offenheit, an der Internationalität.

E-Mails an: wolfgang.boehm@diepresse.com

("Die Presse", Print-Ausgabe, 18.01.2012)

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