Empörung im Lager der Empörten

Die Systemkritiker von „Occupy“ bis Attac sollten begreifen: Der „freie Markt“ kann nicht an der Krise schuld sein, weil er kaum existiert.

Im Dunstkreis der österreichischen „Occupy“-Bewegung tauchten kürzlich rechte Recken und antisemitische Zinskritiker auf. „Occupy“ ist jene international auftretende Masse von Empörten, die zuerst protestieren und sich dann fragen, wieso. Da ist es kein Wunder, dass allerlei Aktivisten versuchen, die neue Bewegung zu vereinnahmen. Am rechten Rand wartet man längst ungeduldig auf den Kollaps des Finanzsystems. Die Linken sind ohnehin seit Karl Marx davon überzeugt, dass der Kapitalismus nur die Vorstufe zum sozialistischen Paradies sein kann. Ein Paradies, das zu jeder Zeit nur ein, zwei brutale Machtergreifungen entfernt war und trotzdem nie kommen wollte.

„Die Unterscheidung zwischen links und rechts in der Politik ist absolut wertlos. Sie war von Anfang an mangelhaft“, schrieb schon der jüdische österreichische Ökonom Ludwig von Mises, den die Nazis aus Europa vertrieben. Er wies immer wieder darauf hin, dass extrem Linke wie extrem Rechte sich wirtschaftspolitisch weitestgehend einig sind. Und dass ihre sozialistische Wirtschaftspolitik dazu führen muss, dass eine kleine Elite die Masse der Bürger unterdrückt – bis das System unweigerlich zusammenbricht. Der Mises-Schüler Friedrich August von Hayek hat das in seinem Opus Magnum „Der Weg zur Knechtschaft“ beschrieben.

Linke wie rechte Sozialisten eint der Glaube, dass der Staat (die Gemeinschaft) über dem Individuum steht und dass es die Aufgabe dieses Staates sei, die Menschen zu steuern, zu beglücken und vor sich selbst zu beschützen – weil nur der Staat dem bösen Markt Einhalt gebieten kann. Diese Auffassung haben übrigens auch die Mitglieder der „neoliberalen Weltverschwörung“ vertreten. Der Etatismus regiert nicht erst seit gestern.

Deswegen ist es bedenklich, aber nicht verwunderlich, dass viele Menschen heute neosozialistischen Obskuranten ins Netz gehen. Diese propagieren populistische Symptombehandlungen, die das Problem weiter vergrößern würden. Die Attac-Aktivisten sind genauso Meister in diesem Spiel wie die technokratischen Kommunisten der sogenannten „Zeitgeist“-Bewegung und der umstrittene WU-Professor Franz Hörmann – ein Linker, der zuletzt durch unseriöse Äußerungen zu den Verbrechen der Nazis aufgefallen ist. Hörmann träumt – wie einst Lenin – vom „Ende des Geldes“. Die Russen bekamen Stalin, aber Hörmann und seine Fans glauben trotzdem fest an das Bevorstehen eines computergesteuerten Utopia.

Diese Bewegungen sind sich unter dem Strich sogar weitgehend einig mit den Herrschern unserer heutigen Finanzoligarchie, die die guten Absichten der Empörten missbrauchen, um ihre Kontrolle weiter auszubauen. Nicht umsonst hat ausgerechnet der Multimilliardär George Soros den Begriff vom bösen „Marktfetischismus“ populär gemacht. Die Eliten haben kein Problem mit der Forderung der Masse nach neuen Regeln. Sie schreiben diese Regeln.

Es ist allerhöchste Zeit, dass die Empörten anfangen zu begreifen, dass die Formel Status quo = Kapitalismus = Krise schlichtweg falsch ist. Die ach so „kapitalistische“ westliche Welt ist längst zu einem Versuchslabor sozialistischer Klempner verkommen, in dem der überwiegende Teil der Wirtschaft zentral gesteuert wird: das Geldsystem, die Löhne und die Zinsen. Jetzt werden auch noch die Banken nach und nach verstaatlicht.


Nein, der „freie Markt“ kann keine Schuld an der Krise haben, weil er kaum existiert. Er wäre aber ein Teil der Lösung, würde man ihm eine Chance geben. Das natürliche Geldsystem entsteht aus dem menschlichen Handeln heraus und wird vom gesetzlichen Geldsystem lediglich unterdrückt. Auch die gefährlichen Finanzmarktmanöver der Banken wären in einem „freien Markt“ ohne Zentralbanken beendet. Kapitalismus ist vor allem eine Beschreibung des menschlichen Tuns. Jede Einschränkung dieses Tuns ist ein autoritärer Akt, der sich gegen die Freiheit der Menschen richtet. Bisher haben wir den Sozialismus in seiner Kuschelvariante „Sozialstaat“ erlebt. Setzt sich aber die Mär durch, dass der Kapitalismus an der Krise schuld sei, dann stehen uns dunkle Zeiten bevor.

E-Mails an: nikolaus.jilch@diepresse.com

("Die Presse", Print-Ausgabe, 30.01.2012)

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