Säße Wulff in der Hofburg, säße er noch in der Hofburg

Wie man das Amt auf zeitgemäße Weise führt, ist für den Bundespräsidenten deutscher und österreichischer Prägung noch nicht hinreichend beantwortet.

in Rücktritt aus freien Stücken sieht anders aus. Zuerst hat es die vierte Staatsgewalt mit der ungewöhnlichen Allianz von „Bild“/„Welt“, „Spiegel“/„Süddeutscher Zeitung“ an der Spitze in mehr als zwei Monaten nicht geschafft, den deutschen Bundespräsidenten aus dem politischen Ring zu boxen. Dann brachte der Auftritt der dritten Staatsgewalt das schnelle Knockout. Die Justiz, vertreten durch die Staatsanwaltschaft Hannover, schuf mit dem Antrag auf Aufhebung der Immunität Christian Wulffs beim deutschen Bundestag unverrückbare Tatsachen.

Die Erklärung des früheren niedersächsischen Ministerpräsidenten am Freitagvormittag folgte keinem eigenen Entschluss mehr, sondern war politisch unausweichlich. Christian Wulff stolperte letztlich nicht über seine Verfehlungen selbst, sondern über den unaufrichtigen Umgang damit.

Deutschland und seine Kanzlerin Angela Merkel stehen also gut eineinhalb Jahre nach dem überraschenden Rücktritt von Horst Köhler wieder ohne Bundespräsidenten da. Für Merkel, der das Krisenmanagement aus dem europäischen Zusammenhang nicht ganz fremd ist, gibt es zur Abwechslung einmal eine innenpolitische Herausforderung. Nicht ganz unwahrscheinlich, dass die deutsche Kanzlerin das erzwungene vorzeitige Ende „ihres“ Präsidenten für strategische Vorleistungen zum Wechsel des Koalitionspartners zu nützen versucht. Denn die FDP in ihrem momentanen Zustand ist nur in einer Hinsicht das Gelbe der deutschen Koalition.


In Österreich beschäftigt im Zusammenhang mit dem Rücktritt des deutschen Präsidenten am Ende einer sehr erhellenden U-Ausschuss-Woche eine andere Frage. Woran liegt es, dass es in Deutschland letztlich selbst für die Störrischsten (Wulff, Guttenberg) keine Alternative dazu gibt, ihre politische Verantwortung wahrzunehmen? In Österreich aber Vorwürfe, wenn überhaupt, immer nur mit so großem zeitlichen Abstand an die Oberfläche kommen, dass ihre Konsequenzen nur mehr Politiker a. D. betreffen? Eines scheint jedenfalls sicher: Säße Wulff in der Hofburg, säße er noch in der Hofburg. Der Fall Wulff zeigt übrigens auch, warum sich hiesige Politiker so sehr davor fürchten, ihren Einfluss auf staatsnahe Unternehmen zu verlieren. Dann müssten sie sich nach ihrer Logik nämlich, so wie der gefallene Niedersachse, in der „echten“ Wirtschaft nach Gönnern umsehen. Und könnten nicht über ihre Eigentümerstellung unbürokratisch Gelder aus diversen Energieversorgern, Transportunternehmen und eben Telefongesellschaften abzweigen. Während also im Parlament intensiv nach rauchenden Revolvern gesucht wird, stört der weithin sichtbare Fabrikschlot mit seiner alles verdunkelnden Riesenwolke scheinbar niemanden. Ein amtierender Regierungschef nämlich, der mit Steuergeldern gefügige Berichterstattung und letztlich Wahlerfolge gekauft hat.

Eine andere offene Frage hat Wulff selbst in seiner Abschiedserklärung mit dem Hinweis, er habe sich „in seinen Ämtern stets rechtlich korrekt verhalten“, angerissen (und damit einmal mehr gezeigt, dass er nicht verstanden hat, warum er letztlich gehen musste). Es reicht für ein öffentliches Amt nicht aus, hat nie ausgereicht, wird hoffentlich nie ausreichen, sich einfach nur rechtlich einwandfrei zu verhalten. Die Grenze zwischen rechtlich gerade noch in Ordnung und strafbar kann schließlich (wenn oft auch unerträglich spät) von Gerichten geklärt werden. Das richtige Gespür für das adäquate Verhalten in öffentlichen Ämtern aber muss letztlich immer der einzelne Funktionsträger selbst haben.

Die Frage, wie man diese Rolle des Staatsoberhaupts auf zeitgemäße republikanische Weise ausfüllt, ist gerade für das Amt des Bundespräsidenten deutscher und österreichischer Prägung nicht hinreichend beantwortet. Heinz Fischer steht immerhin für persönliche Integrität. Der Hinweis auf gelungene Amtsführungen aber reicht zu weit zurück (Rudolf Kirchschläger hier, Richard von Weizsäcker, Roman Herzog dort). Es wäre spannend, eine unabhängige, mutige, zeitgemäße Interpretation samt strenger moralischer Standards vorgelebt zu bekommen.

E-Mails an: florian.asamer@diepresse.com

("Die Presse", Print-Ausgabe, 18.02.2012)

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