Eine Generation wird ad Acta gelegt

Hinter den Protesten gegen das sogenannte Antipiraterie-Abkommen Acta steckt die Enttäuschung einer Generation, die sich betrogen fühlt. Zu Recht: Sie wurde und wird betrogen.

Die Manifeste und Bekennerschreiben der „Anonymous“-Hacker klingen gelegentlich ein wenig eigen. Da mischen sich Freiheitspathos und antikapitalistischer Furor, Pfadfindertugenden und Outlaw-Habitus gehen eine Koalition auf Zeit ein, man riecht bisweilen zwischen den Zeilen den Schweiß von Teenagern, die nach zwei verbotenen Bieren über die Mauer zurück ins Internat klettern. Aber wo immer man auch ideologisch stehen mag, so wird doch mit jedem Tag klarer, dass diese jungen Leute einen gerechten Kampf kämpfen. Sie kämpfen, weil sie sich betrogen fühlen. Und sie wurden und werden tatsächlich betrogen.

Die durch die Buwog-Abhörprotokolle bekannt gewordene Frage „Wos woa mei Leistung?“ gilt nicht nur für den Politclown und Hutschenschleuderer Walter Meischberger. Man kann sie vielen von uns stellen, die während der vergangenen 20 Jahre im sogenannten „Establishment“, also in den Führungsetagen von Wirtschaft, Politik und Medien, Karriere gemacht haben. Das bedeutet natürlich nicht, dass eine ganze Generation ihre besten Jahre an der Grenze zwischen Politik und Freunderlwirtschaft verbracht hat. Aber es ist doch auffällig, wie sehr während der vergangenen beiden Jahrzehnte die Schere zwischen Behauptung und Wirklichkeit des Begriffs „Leistung“ aufgegangen ist.

Es ist eine ziemlich verwöhnte Generation, die während der vergangenen Jahre in die Schaltstellen der Gesellschaft eingerückt ist und gerade einrückt: Die jugendlichen Revolutionäre von 1968 hatten gegen die repressive Grundstimmung einer ganz auf Vergessen und Wiederaufbau ausgerichteten Gesellschaft angekämpft, die Freiheitskämpfer von 1989 haben das letzte totalitäre Großregime des 20.Jahrhunderts abgeschüttelt. Freiheit und Wohlstand in Fülle also, und nicht viel zu tun, als auf den Zug aufzuspringen, der immer schneller in Richtung Wachstum und Hedonismus rollte. Viel zu oft reichte eine Kombination aus Grundkenntnissen der drögen Marketingkunstsprache der 1990er-Jahre und dem Nachweis von einschlägigen Beziehungen, um ein Ticket zu lösen.

2008 fuhr der Zug an die Wand. Aber die fällige Korrektur fand nicht statt. Man investierte stattdessen Milliarden in die Aufrechterhaltung der Wohlstandsillusion, nicht nur in Griechenland. Bezahlen wird das alles die Generation, die jetzt zu Recht die Nase voll hat. Gut ausgebildete, in den zeitgenössischen Kulturtechniken hochspezialisierte, mit einem wachen Instinkt für Gesellschaft und Gemeinschaft ausgestattete junge Menschen, die jeden Tag in den Medien vorgeführt bekommen, wer da auf ihre Kosten die große Sause veranstaltet hat.

Die Auseinandersetzungen um das Antipiraterie-Abkommen Acta spielen sich vor demselben Hintergrund ab: Gewiss, geistiges Eigentum muss geschützt werden. Aber es grenzt an Selbstironie, wenn wir Zeitungsleute, die wir eineinhalb Jahrzehnte lang unsere Inhalte kostenlos ins Netz gestellt haben, in unserer Argumentation für die Acta-Ratifizierung beklagen, dass „geistiges Eigentum keinen materiellen Wert hat“. Ein „digital native“ kann daraus nur einen Schluss ziehen: Zuerst haben sie nicht verstanden, was vor sich geht, und jetzt, da sie verstehen, dass sie es nicht verstanden haben, drehen sie uns einfach das Netz ab – weil sie die Macht dazu haben.

Was sich da draußen gerade neu formiert, birgt für uns Mitglieder des Establishments die Aussicht auf Ungemütlichkeit. Und dafür ist es, bei aller berechtigten Skepsis gegenüber den ideologischen Ausfransungen und der latenten Bereitschaft zum Gesetzesbruch, höchste Zeit. Denn die eigenwilligen Interpretationen von „Leistung“, die sich in diesem Establishment breitgemacht haben, sorgen nicht nur für Widerstand von außen und unten. Sie haben auch zur inneren Erosion geführt, was durch die niederschmetternde Qualität des Personals in vielen gesellschaftlichen Schlüsselpositionen belegt wird. Es ist an der Zeit, die Generation „Wos woa mei Leistung“ ad Acta zu legen.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 25.02.2012)

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