Des Faymanns neue Kleider

Der Bundeskanzler hat sich vom EU-politischen Saulus zum Paulus gewandelt. Gut, dass nicht die „Krone“ die Brüssel-Politik vorgibt. Schade, dass sie nur eine Pose ist.

Bis heute ist nicht klar, ob der Zeitungstitel nicht eine heimliche Ironie transportieren sollte. „Hier spricht ein glühender Europäer“, schrieb der „Kurier“ im vergangenen Dezember vermeintlich bierernst und verwies auf ein Interview mit dem Kanzler zur Euro-Krise, die dazugehörige milliardenschwere Feuerwehr und die bescheidene Rolle Österreichs. Ganz so, als ob da Jacques Delors und nicht Werner Faymann zum Frage-Antwort-Spiel gebeten worden wäre.

Kurz zuvor hatte sich Hugo Portisch mit einem schmalen, aber äußerst empathisch formulierten Buch für das Friedensprojekt EU starkgemacht und damit einen Bestseller geschaffen. Dieses breitenwirksame Bekenntnis dürfte sich Faymann deutlich mehr zu Herzen genommen haben als wenige Jahre davor die breite Kritik von Medien, von Intellektuellen und seinen Parteifreunden, dass er sich seine EU-Politik ausschließlich und ganz offiziell von der „Krone“ hatte vorgeben lassen. Gemeinsam mit dem traurig gescheiterten Alfred Gusenbauer hatte er Hans Dichand einen Brief geschrieben, in dem er versprach, über jede wichtige EU-Vertragsänderung das Volk abstimmen zu lassen.

Faymann tat dies nicht etwa, weil er es demokratiepolitisch für logisch und richtig empfand, die Wähler einzubinden, sondern nur, weil Dichand es wollte. Im vergangenen Jahr wurde der Vertrag über den Status quo zwischen den EU-Ländern verändert, um einen dauerhaften, milliardenschweren Euro-Rettungsschirm zu ermöglichen. Die Volksabstimmung ließ der glühende Europäer Faymann ausfallen. Hans Dichand war schon ein Jahr tot.

Ein Regierungschef, der seine EU-Politik nicht von einer Boulevardzeitung diktieren und sich nicht vom dumpfen Anti-Brüssel-Reflex leiten lässt, sondern plötzlich von einem proeuropäischen Gedanken beseelt ist, verdient vorerst einmal vorsichtiges Lob und Zustimmung. Aber besser als nichts ist für einen Bundeskanzler eben nicht genug. Auch in der EU-Politik reicht es längst nicht aus, sich einzig und allein auf den Kompass Heinz-Christian Strache zu verlassen: Wogegen er ist, findet Faymann gut. So wichtig darf Strache nicht sein, so schlicht darf Politik nicht sein. Auch die plötzlich verspürte Nähe zur wahren Macht als Anlass für staatspolitische Gesten mag zwar durch den Vergleich von Michael Häupl mit Angela Merkel aus Sicht Faymanns menschlich verständlich sein, kann aber nicht davon ablenken, dass zu einem „glühenden“ Europäer auch eine eigene Vision oder Idee von der Zukunft der Union gehört: Davon bemerken Brüssel-Korrespondenten und EU-Verhandlungspartner wenig, stattdessen Unsicherheiten und Teilnahmslosigkeit. Außenpolitik war und ist ein Fremdkörper in Faymanns politischem Denken und seinem PR-affinen Kabinett. Wie in Brüssel immer wieder zu hören ist, bleibt Faymann mit dünner inhaltlicher Vorbereitung keine Ausnahme, auch andere Regierungsmitglieder wie die Finanzministerin punkten mehr mit originellen denn profunden Beiträgen.

Faymanns Positionierung als Wiener Staatssekretär von Kanzlerin Merkel mag für den Vertreter Österreichs zwar klar umrissen sein und der ÖVP gefallen, muss aber österreichischen (Ex-)EU-Politikern wie Franz Vranitzky, Alois Mock, Hannes Swoboda, Othmar Karas oder Johannes Voggenhuber zu Recht lächerlich klein erscheinen. Zumal mit dem Wechsel von Michael Spindelegger an die ÖVP-Spitze vor knapp einem Jahr auch auf der Seite des Koalitionspartners Inhaltsleere und friedlich distanzierte Freundlichkeit einkehrten: Der Außenminister hat im Inland schlicht zu viel zu tun, um sich noch neue Allianzen und (Aus-)Wege in Brüssel zu suchen.

Die Kombination aus staatstragend inszenierter Kritiklosigkeit und beschwörenden Aufrufen zur europäischen Solidarität wird nicht helfen, den Bürgern das teure Projekt EU sinnvoller und sympathischer erscheinen zu lassen. Politik aus Gesten und Worthülsen bewirkt das Gegenteil. Eine neue Steuer in einem Konsolidierungspaket als Aktivposten zu berechnen, die auf EU-Ebene erst beschlossen werden müsste, zeigt auch: Die Taktik, die politische Verantwortung nach Brüssel abzuschieben, in Wien den fidelen Landespolitiker zu geben, wird nicht funktionieren.

E-Mails an: rainer.nowak@diepresse.com

("Die Presse", Print-Ausgabe, 06.03.2012)

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