Die Korruption frisst ihre eigenen Kinder

Dem slowakischen Politestablishment wurde die Freunderlwirtschaft zum Verhängnis. Dass davon ausgerechnet die Linke profitieren konnte, ist purer Zufall.

Den Anfang machte Hannes Swoboda. Das europapolitische Schlachtross der SPÖ wurde nach Bratislava entsandt, um im Wahlkampf von Robert Fico im Namen der Sozialdemokratischen Internationale den Cheerleader zu geben. „Nicht nur die Slowakei, auch Europa braucht ihn!“, rief der enthusiasmierte Swoboda der Menge zu– und die Slowaken scheinen diese Botschaft vernommen zu haben: Bei der Parlamentswahl am Samstag errang Ficos Partei „Smer“ die Absolute; die Mitte-rechts-Rivalen wurden dezimiert. Einzig die Tatsache, dass Fico nicht die Verfassungsmehrheit holen konnte, schmälert den Triumph ein wenig.

Nur wenige Stunden nach dem Wahlsieg outete sich auch Werner Faymann als Ficos Fan: Dessen „beeindruckender Erfolg“ sei ein „weiterer Impuls für ein sozialeres Europa“, ließ der Bundeskanzler per Aussendung mitteilen. Er hoffe nun, dass sich der neue starke Mann der Slowakei gemeinsam mit Österreich für „ein Mehr an gerechten Einnahmen“ einsetzen werde.

Zumindest in einer Hinsicht liegt Faymann nicht daneben: Ficos Erfolg ist in der Tat beeindruckend. Erst recht, wenn man einige Jahre zurückdenkt. Die Parteienlandschaften Zentral- und Osteuropas glichen lange Zeit dem Katasterplan eines Kleingartenvereins – mit 15 Prozent der Stimmen galt man schon als Großpartei. Und heute? Fico wird aller Voraussicht nach mit 83 von 150 Mandaten regieren, in Ungarn verfügt Viktor Orbán über eine Zweidrittelmehrheit, und in Polen wurde im Vorjahr zum ersten Mal seit 1989 eine Regierung im Amt bestätigt. Die Ära der Gartenzwerge scheint im Osten vorbei zu sein.

Doch ist der Wahlerfolg der slowakischen Linken auch ein politisches Aufbruchsignal, wie es Werner Faymann gern hätte? Wohl eher nicht. Dass die Slowaken Fico um den Hals gefallen sind, hat wenig mit seinem Charme oder der Strahlkraft seines politischen Programms zu tun, sondern mit der jämmerlichen Verfassung der Konkurrenz. Die Mitte-rechts-Parteien trieben Fico die Wähler regelrecht in die Arme.

Der Grund für ihre Niederlage trägt den Namen „Gorilla“. Hinter diesem Codewort verbirgt sich ein Korruptionsskandal gigantischen Ausmaßes, der, sollten die Vorwürfe der Ermittler auch nur teilweise zutreffen, ein erschreckendes Sittenbild offenbart: der slowakische Staat als Futtertrog einer Clique neureicher Profiteure, die mit tatkräftiger Unterstützung führender Politiker mitgeschnitten haben, wo sie nur konnten.

Dass von dieser Affäre ausgerechnet Smer profitieren konnte, ist allerdings purer Zufall. Zum Zeitpunkt der Ermittlungen war Fico nicht an der Macht. Jetzt kann er seine Hände in Unschuld waschen, obwohl auch seiner Partei Verstrickungen nachgesagt werden. Im benachbarten Ungarn bewies die Linke ein schlechteres Gespür für Timing – mit der Konsequenz, dass in Budapest nun Viktor Orbán machen kann, wonach ihm der Sinn steht.

Gerade das ungarische Beispiel macht deutlich, dass Erdrutschsiege ungeahnte Konsequenzen haben können. Zwar hat Fico im Vorfeld den geläuterten Sünder gemimt und dem Populismus abgeschworen. Ob er an der Spitze einer Alleinregierung so wohltemperiert bleibt, wird sich allerdings erst weisen. Auch Orbán kam nicht an die Macht, weil er versprochen hatte, die privaten ungarischen Pensionsversicherungen zu verstaatlichen – diese Hybris offenbarte sich erst nach dem Wahltag. Und Ficos Wahlversprechen bergen, so nebulös sie auch sind, potenziellen Sprengstoff: etwa seine Überlegung zur Abschaffung der Flat Tax zwecks Sanierung des Budgets, die angesichts der Tatsache, dass die Einheitssteuer maßgeblich zum slowakischen Wirtschaftswunder beigetragen hat, wohl nur als gefährliche Drohung aufgefasst werden kann.

Nein, mit jenen „gerechten Mehreinnahmen“, von denen Werner Faymann offenbar träumt, hat das Ganze wenig zu tun. Wenn man eine Lehre aus dem slowakischen (und ungarischen) Votum ziehen möchte, dann wohl nur die, dass in Mitteleuropa die Toleranzgrenzen hinsichtlich Korruption und Freunderlwirtschaft erreicht sind – und zwar unabhängig davon, wer gerade das Sagen hat. Dem SPÖ-Chef sollte das genug Stoff zum Nachdenken geben.

E-Mails an: michael.laczynski@diepresse.com

("Die Presse", Print-Ausgabe, 12.03.2012)

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