Auch der Fall des Serienmörders Mohammed Merah zeigt: Die Bedrohung durch den islamistischen Terrorismus ist nicht verschwunden, sie hat sich nur gewandelt.
Der Wandel des 23-jährigen Franzosen Mohammed Merah vom Gelegenheitsdieb zum eiskalten Killer wird die Öffentlichkeit noch einige Zeit beschäftigen. Polizeiliche Ermittler, Journalisten, Psychologen, Politikwissenschaftler werden versuchen, hinter die Fassade des Doppellebens des Serienmörders von Toulouse zu blicken und Erklärungen für seine Metamorphose vom Karosseriebauer zum Jihadisten, zum „Krieger für den wahren Islam“, zu finden. Das ist richtig und wichtig, um das Milieu zu verstehen, in dem dieser Hass und diese Kaltblütigkeit gedeihen können, und um westliche Gesellschaften präventiv gegen weitere solche Gewalttäter besser schützen zu können.
Der totale Schutz aber wird niemals gelingen – außer vielleicht in einem Staat, der selbst terroristisch ist. Und den kann niemand wollen. Die Sicherheitsbehörden westlicher Staaten werden sich auch weiterhin mit solchen Einzeltätern besonders schwertun, obwohl diese überhaupt kein neues Phänomen sind; es hat sie immer gegeben.
Freilich hat sich dieses Phänomen in den vergangenen Jahren verstärkt – nicht zuletzt auch deshalb, weil die Terrorabwehrmaßnahmen der westlichen Staaten effizienter geworden sind und im Kampf gegen das bedrohlichste Terrornetzwerk der vergangenen 15 Jahre, al-Qaida, doch zahlreiche Erfolge erzielt werden konnten. Möglich wurden diese durch den intensivierten internationalen Informationsaustausch der diversen Nachrichtendienste und durch die verbesserte Zusammenarbeit der Sicherheitsbehörden. Ob sich diese Verbesserungen in der Terrorabwehr allerdings auch auf das präventive Vorgehen gegen die „einsamen Wölfe“ auswirken werden, ist zumindest fraglich.
Immerhin, auch Mohammed Merah war für die französischen Sicherheitsbehörden kein Unbekannter. Sie wussten von seinen Reisen ins afghanisch-pakistanische Grenzgebiet, sie beobachteten und verhörten ihn. Aber sie konnten dann doch nicht verhindern, dass er plötzlich durchdrehte und zum Kinder- und Soldatenmörder wurde.
Hohe amerikanische Politiker haben nach der Ausschaltung des Terrorchefs Osama bin Laden und weiterer führender Köpfe von al-Qaida erklärt, „die strategische Niederlage“ des Terrornetzwerks sei „in Reichweite“. Tatsächlich ist laut Experten der Kern von al-Qaida durch US-Kommandooperationen und insbesondere durch die Drohnenangriffe von rund 1000 im Jahr 2001 auf etwa 300 geschrumpft. Zu großen Terroranschlägen wie am 11. September 2001 in New York und Washington ist al-Qaida im Moment möglicherweise nicht mehr in der Lage, auch wenn Bin-Laden-Nachfolger Aiman al-Zawahiri seinen Führungsanspruch im Netzwerk genau mit so einem Großanschlag zu untermauern trachtet.
Vorübergehend geschwächt scheint al-Qaida auch durch den Arabischen Frühling, weil er eine Hauptthese der Netzwerkpropagandisten („Alle Anstrengungen sind zuerst gegen den gottlosen Westen und vor allem die USA zu richten, erst dann kann der Kampf gegen die Despotien beginnen“) widerlegt hat.
Zudem haben die Gewaltexzesse von al-Qaida insbesondere im Irak, denen fast nur moslemische Glaubensbrüder zum Opfer gefallen sind, den Jihadisten in breiteren Bevölkerungskreisen der islamischen Welt doch geschadet. Dennoch: Eine große Stärke des Netzwerks ist ganz offenkundig seine Anpassungsfähigkeit. Durch Bin Ladens Tod ist al-Qaida nicht von der Bildfläche verschwunden, er war in den letzten Jahren wohl nur noch eine Ikone. Das Netzwerk sorgt weiter für die Ausbildung und den Austausch von Jihadisten, es berät regionale Ableger in Nordafrika, Somalia, Nigeria, Jemen und neuerdings auch in Syrien strategisch und taktisch, es hilft mit Geld, Waffen und Sprengstoff.
Vor allem aber inspiriert al-Qaida vermehrt Einzelpersonen, die in westlichen Gesellschaften leben und im Namen eines „Heiligen Krieges“ zu abscheulichen Terroraktionen gegen Unschuldige bereit sind. Für westliche Staaten ist die Bedrohung durch den islamistischen Terror also nicht verschwunden, sie hat sich allenfalls gewandelt. Es sind die „hausgemachten Terroristen“, die gegenwärtig die größte Gefahr für die offenen Gesellschaften darstellen.
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("Die Presse", Print-Ausgabe, 23.03.2012)