Ein Problem aus der Hölle und nur zweitbeste Lösungen

Solange der Syrien-Konflikt nicht gelöst werden kann, muss die Staatengemeinschaft zumindest eine Schutzzone für die Zivilbevölkerung einrichten.

Ein Problem aus der Hölle“ – so hat die Journalistin und Menschenrechtsaktivistin Samantha Power die Schwierigkeiten beschrieben, mit denen eine demokratische Regierung konfrontiert ist, wenn sie auf Massenmord und Machtmissbrauch in monströsem Ausmaß reagieren muss. Das Buch war eine Reaktion auf den Kosovo-Konflikt. Dieser war eben erst durch eine Nato-Invasion beendet worden und galt nach dem Debakel in Somalia und Ruanda sowie der Schande des langen Zögerns im Bosnien-Krieg als Erfolg.

Jetzt im Syrien-Konflikt ist es wieder da, das Problem aus der Hölle. Jede Deadline, jedes Ultimatum verstreicht, jeder vermeintliche Schachmatt-Zug endet damit, dass Syrien ein weiteres Stück Richtung Abgrund rutscht. Immer, wenn die internationalen Beobachter glauben, es könne nicht mehr übler werden, müssen sie erkennen: Doch, leider, es geht noch schlimmer.

Die Zahl der Todesopfer im Konflikt– oder soll man lieber von einem Bürgerkrieg sprechen? – ist auf 9000 gestiegen.

Gestern, Dienstag, ist das Ultimatum zur Einstellung der Kampfhandlungen und zum Abzug der Armee aus den Städten verstrichen. Und damit ist der Friedensplan des früheren UN-Generalsekretärs und Syrien-Sonderbeauftragten Kofi Annan vorerst gescheitert. Radwan Ziadeh, ein Sprecher der syrischen Opposition, schreibt im US-Magazin „The New Republic“, es sei keine Überraschung, dass der Annan-Plan gescheitert ist, ihn wundere vielmehr, „warum es so lange gedauert hat, bis die Welt das Scheitern zugegeben hat“. Annan hatte ein Ende der Kämpfe, einen Dialog zwischen dem Baath-Regime und der Opposition, die Freilassung von willkürlich Festgenommenen, die Möglichkeit für Journalisten, ungehindert zu berichten, sowie ein Versammlungs- und Demonstrationsrecht für die syrische Bevölkerung ausverhandelt. Doch nichts davon wurde umgesetzt.

Doch was nun? Ein neues Ultimatum? Ein neuer Friedensplan? Eine Schutzzone? Eine Bewaffnung der Opposition durch die USA, Golfstaaten, die Türkei, Europäer? Eine Militärintervention? Aber durch wen? Und vor allem, wie?

Ziel müssen die Verhinderung einer weiteren Eskalation und der Schutz der Zivilbevölkerung bleiben, auch wenn das für die Opfer des Krieges mittlerweile wie Hohn klingt. Der türkische Premier, Recep Tayyip Erdoğan, klagt den syrischen Präsidenten Assad an: „Er tötet weiterhin 60, 70, 80, 100 jeden Tag“ und lässt „gnadenlos fliehenden Frauen und Kindern in den Rücken schießen“. Erdoğan hat recht: Der Krieg der syrischen Führung gegen die eigene Bevölkerung ist nicht mehr länger hinnehmbar.

Das Dumme ist nur: Es gibt derzeit keine brauchbare robuste Alternative zur diplomatischen Initiative von Kofi Annan.

Eine Militärintervention ohne UN-Sicherheitsratsmandat wäre völkerrechtlich inakzeptabel und zudem hochriskant. Mögliche militärische Konsequenzen: ein Übergreifen des Konflikts auf den Libanon oder den Irak sowie Vergeltungsschläge von durch Syrien unterstützte Terrorkommandos in der Türkei.Die Arabische Liga hat bereits Ende Februar einen Kompromiss präsentiert: Assad und seine Führungsclique gehen ins Exil, so, wie dies Präsident Ali Abdullah Saleh im Jemen getan hat, und er übergibt die Macht an Vizepräsident Faruk al-Scharaa. Doch Assad wollte nicht.

Eine Bewaffnung der Opposition ist keine gute Idee: Die afghanischen Mudjaheddin schossen, nachdem sie die Sowjets aus dem Land vertrieben hatten, mit den von den USA, Saudiarabien und Pakistan gelieferten Waffen auf ihre Landsleute. Wer sagt, dass in Syrien nicht Ähnliches passieren könnte?

Die Einrichtung einer Schutzzone, wie sie die Türkei vorschlägt, ist daher die derzeit wahrscheinlichste und brauchbarste Lösung. Im Nordirak hat eine Schutzzone für die vor Saddam Hussein auf der Flucht befindlichen Kurden gute Dienste geleistet. Und solange die Staatengemeinschaft sich nicht auf ein gemeinsames Vorgehen gegen das Assad-Regime einigen kann, muss sie dafür sorgen, dass das Leid der syrischen Zivilbevölkerung etwas gelindert wird. Ein Veto Chinas oder Russlands gegen einen solchen Vorschlag wäre unverzeihlich. Konflikt in Syrien, Seite 1

E-Mails an: thomas.seifert@diepresse.com

("Die Presse", Print-Ausgabe, 11.04.2012)

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