Die Wahl am Sonntag ist ein Referendum über Frankreichs Präsident Sarkozy. Und das ist sein Handicap. Denn es spricht vieles gegen ihn – und nichts für Hollande.
Die Franzosen haben sich entliebt von Nicolas Sarkozy und etliche gute Gründe, ihren Präsidenten am Sonntag nicht im Amt zu bestätigen, vor allem persönliche: Die pfauenhaften Auftritte des großmäuligen und flatterhaften Parvenus an der Spitze ihres Staates sind für viele nicht mehr zu ertragen. Nach fünf Jahren einer nervtötenden öffentlichen Intensivbeziehung mit einem Hyperaktiven ist das Land von einer akuten Sarkophobie befallen. Der Überdruss ist so gewaltig, dass die Mehrheit der französischen Bevölkerung deshalb knapp davor steht, einem hoffnungslosen Langweiler und Realitätsverweigerer wie dem sozialistischen Apparatschik François Hollande die Stimme zu geben. An dieser Grundstimmung dürfte auch das Fernsehduell der Spitzenkandidaten kaum etwas geändert haben.
Die Wahl am Sonntag ist ein Referendum über Sarkozy. Und das ist dessen größtes Handicap. Denn es spricht vieles gegen ihn, aber nur wenig für seinen Herausforderer. Hollande hat kaum etwas anzubieten außer eine verkorkste Karriere voller Niederlagen und einen eklatanten Mangel an Regierungserfahrung. Sein größtes Verdienst ist es, nicht Sarkozy zu sein. Mit eigenständigen Ideen oder gar einer Vision für Frankreich ist er bisher nicht aufgefallen.
Alles, was François Hollande von sich gibt, kennt man irgendwie schon. Der Mann ist eine wandelnde Kopiermaschine. Rhetorisch imitiert er gern den ehemaligen Präsidenten François Mitterrand, das Idol seiner Politikerjugend. Und so wie der frühere Sozialistenchef Lionel Jospin vor den Parlamentswahlen 1997 eine Neuverhandlung des Europäischen Stabilitätspakts gefordert hat, will Hollande nun den Fiskalpakt aufschnüren. Der Erfolg wird vermutlich ähnlich überschaubar sein. Aus dem Stabilitätspakt wurde damals Jospin zuliebe ein Stabilitäts- und Wachstumspakt – eine neue Überschrift für einen sonst kaum veränderten Inhalt. Hollande wird dann halt, sofern er die Wahl gewinnen sollte, mit einer vergleichbaren Morgengabe abgespeist werden, mit einem EU-Gipfel etwa, der dann aber wirklich ganz und gar dem Wachstum gewidmet ist.
Hollande genießt einen seltsamen Harmlosigkeitsvorschuss. Keiner glaubt, dass er wirklich ernst meint, was er da in seinen Reden ankündigt. Die Reichensteuer in der Höhe von 75 Prozent für Einkommen über einer Million Euro werde letztlich nicht so krass kommen, glaubt man. Wenn sie doch kommt, wird man das am Kapitalfluchttreck merken, der sich in Bewegung setzen wird.
Schlagartig stiegen auch die Zinsen für französische Staatsanleihen an, sobald Hollande die Budgetzügel schleifen ließe, tatsächlich 60.000 neue Lehrer anstellte und das Pensionsantrittsalter wirklich wieder von 62 auf 60 Jahre herabsetzte. Schon jetzt gilt Frankreich als einer der eher besorgniserregenden Patienten im großen Krankenzimmer der Eurozone. Die Staatsschulden belaufen sich demnächst auf 90 Prozent des Bruttoinlandsprodukts. Sollte Hollande Anstalten machen, seine linkspopulistischen Traumschlösser tatsächlich in die französische Landschaft zu stellen, wird das die Wettbewerbsfähigkeit der zweitgrößten Volkswirtschaft Europas weiter schmälern. Hollandes Aufsichtsorgan sind die „Märkte“. Sie zögen dem Sozialisten schnell enge Grenzen. Deshalb bliebe vermutlich auch Deutschland nach Hollandes Wahl gelassen: Nach ein paar Wochen müsste er sich ohnehin der ökonomischen Schwerkraft anpassen.
Sarkozy hat schon 2007 erkannt, dass Frankreich einen „Bruch“, eine Entfesselung der Marktkräfte braucht, um nicht ins Hintertreffen zu gelangen. Die Bilanz seiner fünfjährigen Amtszeit ist mager, doch besser als ihr Ruf. Immerhin hob er das Pensionsalter an, immerhin leitete er eine Reform der Universitäten ein, immerhin dehnte er die absurde 35-Stunden-Woche aus.
Sarkozys Narzissmus, seine Bling-Bling-Attitüden und seine hohle Prinzipienlosigkeit sind schwer auszuhalten. Die ausländerfeindliche Pose, mit der er im Wahlkampffinish im rechtsextremen Lager der Frustrierten punkten wollte, war einfach nur widerlich. Und doch wäre der Gaullist die bessere Wahl für Frankreich. Denn er verdrängt, anders als sein Konkurrent, zumindest die wirtschaftliche Realität seines Landes nicht.
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("Die Presse", Print-Ausgabe, 03.05.2012)