Rückgrat gegenüber China

Bundeskanzler Faymann und Außenminister Spindelegger trotzten chinesischen Drohungen und trafen in Wien den Dalai-Lama. Gut so. Die symbolische Geste verdient Achtung.

Es ist ein seltener Moment, und deshalb muss er gewürdigt werden. Die österreichische Bundesregierung hat Einigkeit und standfesten Charakter bei einem heiklen außenpolitischen Thema bewiesen. Sowohl Bundeskanzler Werner Faymann als auch Außenminister Michael Spindelegger haben es sich trotz wiederholter Drohungen aus Peking nicht nehmen lassen, in Wien mit dem Dalai-Lama zusammenzukommen.

Der schäumende Protest folgte innerhalb weniger Stunden. In einer harschen Stellungnahme geißelten die Schriftführer aus dem roten Reich der Mitte die Treffen mit dem spirituellen Oberhaupt der Tibeter als „schwere Einmischung in die inneren Angelegenheiten Chinas“, das sich Tibet bekanntlich 1950 durch eine Invasion einverleibt hatte. Österreichs Führung habe damit die Gefühle des chinesischen Volkes verletzt und den separatistischen Kräften in Tibet ein falsches Signal gegeben. In einem Nebensatz stellten Pekings Wutdiplomaten sogar die „gesunde Entwicklung der chinesisch-österreichischen Beziehungen“ infrage.


Ritualisierte Empörung. Im Außen- und vermutlich auch im Bundeskanzleramt ahnte man, dass es so oder so ähnlich kommen werde. Die chinesische Protestkultur gegen den Dalai-Lama hat sich längst zu einem automatisierten Ritual verfestigt. Faymann und Spindelegger ließen sich trotzdem nicht von den totalitären Machthabern des asiatischen Wirtschaftsgiganten erpressen. Das ist gut so. Und eine passende Rechtfertigung haben Kanzler und Vizekanzler parat: Der Dalai-Lama hat keine politische Funktion inne, sondern eine religiöse.

Zudem pochen er und seine Anhänger lediglich auf mehr Autonomierechte innerhalb der Volksrepublik. Doch für China ist der buddhistische Dauerlächler mit den Popstar-Allüren immer noch ein „Wolf im Schafspelz“, ein durchtriebener Separatist. Und auf jede Gefahr für die Einheit des Landes, sei sie noch so imaginiert, reagiert der KP-Machtapparat allergisch. Aus historischen Gründen, weil sich die Schmach eines zerstückelten China nicht mehr wiederholen soll, aber auch aus politischem Kalkül. Der chinesische Nationalismus ist eine Legitimationsquelle der Kommunisten, die sie zwischendurch immer wieder gern anzapfen. Das Spiel ist nicht ohne Tücke: Denn eines Tages könnte genau eine solche nationalistische Welle das Regime wegspülen.

Spindelegger reizt den roten Riesen (gemeint ist natürlich der chinesische) nicht zum ersten Mal. Im Februar 2011 traf er in Peking demonstrativ den später verhafteten Regimekritiker Ai Weiwei. Auch Faymann sprach in China mit der Opposition, gab aber öffentlich keine Namen preis. Dessen Amtsvorgänger, Alfred Gusenbauer, hatte den Dalai-Lama 2007 sogar im Bundeskanzleramt empfangen und damit eine kleine diplomatische Eiszeit mit China ausgelöst.


Vorsichtiger Fischer. Nur einer bleibt stets vorsichtig und geht Hände waschen, wenn es brenzlig wird: Heinz Fischer. Der Bundespräsident fand auch diesmal keine Zeit für den Buddhistenführer aus Tibet.

Faymann und Spindelegger verdienen Achtung für ihre Haltung. Zu Helden muss man sie deswegen aber auch nicht stilisieren. Denn das Risiko, das sie mit ihrer symbolischen Geste eingegangen sind, ist beherrschbar. China hat sich auch in der Vergangenheit irritiert gezeigt, wenn sich österreichische Regierungspolitiker allzu sichtbar für Menschenrechte oder Tibet eingesetzt haben. Doch die künstliche und pflichtschuldige Erregung in Peking ist meistens schnell wieder verraucht. Genügend Gelegenheit, Prinzipientreue zu zeigen und demokratische Werte hochzuhalten, hätte die Bundesregierung auch an anderen Orten zwischen Moskau, Baku und Riad.

Doch da erweist sich das Rückgrat leider meist biegsamer als Öl- und Gaspipelines. Auch deshalb vielleicht die begeisterte Teilnahme am Dalai-Lama-Spiel, das letztlich harm- und folgenlos bleiben wird.

christian.ultsch@diepresse.com

("Die Presse", Print-Ausgabe, 27.05.2012)

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