Zynischer Stellvertreterkrieg auf dem Rücken der Syrer

Der Aufstand gegen Syriens Diktator ist überschattet von Machtspielen des Iran, der Saudis und der Russen. Für Moskau ist es höchste Zeit, Assad zu sagen, dass er geht.

Dieses Mal konnte man im UN-Sicherheitsrat nicht so einfach zur Tagesordnung übergehen; dieses Mal konnten Russland und China nicht einfach nur blockieren. Dafür war das, was in Houla geschehen war, zu schrecklich. Die Bilder, die die ganze Welt aus der syrischen Stadt erreichten, zeigten Dutzende Leichen, darunter die leblosen Körper von Frauen und Kindern. Der Sicherheitsrat verurteilte das Massaker und kritisierte den Beschuss von Wohngebieten durch Panzer und Artillerie der syrischen Regimetruppen. Es waren die deutlichsten Worte, die das UN-Gremium seit Langem zum Blutbad in Syrien gefunden hatte. Doch Konsequenzen haben diese Worte vorerst nicht. Denn Syrien ist nicht Libyen. In Bashar al-Assads Reich überschneiden sich viele Machtinteressen. Und das nützt dem Diktator.

In Syrien tobt nicht nur ein Aufstand gegen ein brutales Regime. In Syrien toben auch zwei Stellvertreterkriege: ein diplomatischer und ein militärischer.

Im diplomatischen Stellvertreterkrieg verläuft die Front zwischen den westlichen Staaten auf der einen und Russland und China auf der anderen Seite. In Moskau und Peking kann man grundsätzlich der „Einmischung in innere Angelegenheiten anderer Staaten“ nicht viel abgewinnen – gerade wenn es um den Kampf gegen Menschenrechtsverletzungen geht. Im Fall Libyen waren Russland und China für ihre Verhältnisse sehr weit gegangen. Sie hatten eine UN-Resolution zum Schutz der Zivilbevölkerung und der Errichtung einer Flugverbotszone nicht mit einem Veto verhindert. Doch die Allianz unter der Führung der Nato legte den Schutz der libyschen Bevölkerung sehr großzügig aus. De facto spielte sie die Luftwaffe für die libyschen Rebellen mit dem klaren Ziel, die Führungsclique von Muammar al-Gaddafi zu stürzen.

Darüber sind Moskau und Peking nach wie vor erbost. Und das lassen sie den Westen bei jeder Abstimmung zu Syrien spüren. Russland denkt nicht daran, noch einmal politische oder gar militärische Maßnahmen zu akzeptieren, die zu einem weiteren Regimewechsel führen könnten. Dass Moskau bisher zu Machthaber Bashar al-Assad gestanden ist, hat aber auch strategische Gründe: Das syrische Regime ist ein langjähriger Verbündeter, Russlands Marine darf syrische Mittelmeerhäfen nutzen.

Die Front im militärischen Stellvertreterkrieg verläuft zwischen den arabischen Golfmonarchien und dem Iran. Syrien ist Teherans wichtigster Verbündeter in der Region. Über Syrien verläuft gleichsam die Nabelschnur für die Versorgung der schiitischen Miliz Hisbollah im Libanon, die ebenfalls zu den Freunden des Iran zählt. Sunnitische Golfstaaten wie Saudiarabien und Katar sehen im schiitischen Iran einen gefährlichen Konkurrenten. Mit dem Abzug der US-Truppen aus dem Irak ist der Einfluss Teherans in der Region weiter gewachsen. Ein Sturz des Assad-Regimes würde aber die Stellung des Iran schwächen. Während Teheran das syrische Regime mit Ausrüstung und Experten zur Aufstandsbekämpfung unterstützt, liefern Saudis und Kataris Waffen an die syrischen Rebellen.

Salafistische Sympathisanten und die Finanziers in den arabischen Golfstaaten sehen in der Rebellion in Syrien aber auch einen Aufstand „rechtgläubiger“ sunnitischer Muslime gegen die „ungläubigen“ Alawiten des Assad-Clans. Deshalb übt der Konflikt eine magische Anziehung auf extremistische Gruppen aus, die Syrien zum Schlachtfeld in ihrem Jihad machen wollen. Und das ist einer der Gründe dafür, warum die USA und die Europäer bisher sehr zurückhaltend bei ihrer Hilfe für die Rebellen waren.

Hauptleidtragende dieser Machtspiele ist die syrische Bevölkerung. Der Friedensplan von Kofi Annan funktioniert nicht. Moskau pocht darauf, dass der Konflikt mit diplomatischen Mitteln gelöst wird. Dann muss die russische Regierung aber auch die richtigen Schritte dafür setzen und Bashar al-Assad verdeutlichen, dass sie nicht ohne Wenn und Aber hinter ihm steht. Sie muss Assad klarmachen, dass es für ihn höchste Zeit ist, die Macht abzugeben. Das wäre ein erster wichtiger Schritt, um zu verhindern, dass Syrien in noch weitaus schlimmere Gewalt kippt.

E-Mails an: wieland.schneider@diepresse.com

("Die Presse", Print-Ausgabe, 29.05.2012)

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