Merkels Sparpolitik ist nicht mehr chancenlos

Der Schuldentilgungsfonds wäre ein geeignetes Mittel, die Staatsschulden in den Krisenländern abzubauen. Von allen Seiten steigt der Druck auf die Kanzlerin.

Mögest du in interessanten Zeiten leben“, lautet eine alte chinesische Verwünschung; und schon lange war sie in Europa nicht mehr so gegenwartsnah wie heute. Mit Ausbruch der Schuldenkrise vor etwa drei Jahren wurde der politischen Führungselite – oder einem Teil davon – mit einem Schlag bewusst, dass die Zeiten der Prosperität und des unbedarften Wirtschaftens, in denen viele Staaten weit über ihre Verhältnisse gelebt haben, der Vergangenheit angehören.

Trotz dieser Einsicht, so könnte man sarkastisch sagen, sind die Zeiten seither immer interessanter geworden: Denn eine passende Antwort auf die dramatischen Auswirkungen der Krise haben die Politiker bis heute nicht gefunden. Viel zu lange haben die Staats- und Regierungschefs gezögert und gezaudert; haben versucht, die Geburtskrankheiten der Währungsunion – allen voran das Fehlen einer gemeinsamen Wirtschaftspolitik – mit kurzfristig wirksamen, intergouvernementalen Maßnahmen zu überdecken. Keine der getroffenen Vorkehrungen war erfolgreich.

Nun muss die europäische Führungselite einsehen, dass die temporären Rettungsaktionen des Euro langfristig keine Wirkung zeigen. Auch ein Patient, der von Geburt an krank ist, kann nicht in einer Notoperation geheilt werden. Er muss seine Lebensweise ändern, sich gesünder ernähren und mehr bewegen; in manchen Fällen sein ganzes Leben lang Medizin schlucken, um die angeborene Schwäche zu bekämpfen.

Was das richtige Arzneimittel für den Euro ist, darüber scheiden sich bisher die Geister. Je näher der EU-Gipfel am 28. und 29. Juni rückt, desto zahlreicher werden auch die Spekulationen, in welche Richtung sich das Krisenmanagement der EU in den kommenden Monaten bewegen wird. Fest steht aber: Seit einigen Wochen weht der Wind in Europa in eine andere Richtung. Die deutsche Kanzlerin Angela Merkel sieht sich aus allen Richtungen verstärktem Druck ausgesetzt, das von ihr auferlegte, gleichzeitig aber unabwendbare Spardiktat zu lockern und durch Wachstumsmaßnahmen zu ergänzen. So drängt der kürzlich inthronisierte französische Präsident Francois Hollande zu einer Neuverhandlung des Fiskalpakts und einer Vergemeinschaftung europäischer Staatsanleihen, die Berlin bisher stets abgelehnt hat. Mit gutem Grund: Eurobonds würden die Schuldenlast für Staaten wie Deutschland oder Österreich, die niedrige Zinsen für ihre Anleihen bezahlen, massiv verteuern. Dennoch schlägt die Kommission in dieselbe Kerbe wie Hollande. Eurobonds sind Teil eines Papiers mit Vorschlägen zur Krisenbekämpfung und einer stärkeren Integration der Eurozone, das Barroso derzeit in Vorbereitung auf den Gipfel gemeinsam mit Ratspräsident Herman Van Rompuy, Euro-Gruppen-Chef Jean-Claude Juncker und dem Präsidenten der Europäischen Zentralbank, Mario Draghi, verfasst.

In dieser verfahrenen Situation rückt nun ein Vorschlag immer mehr ins Licht, dem bisher nur wenig Aufmerksamkeit zuteil wurde: der Schuldentilgungsfonds. Euroländer sollen Schulden eines einzelnen Mitgliedstaates, die über 60 Prozent der Wirtschaftsleistung hinausgehen, über Anleihen gemeinsam finanzieren. Weil nicht alle Schulden vergemeinschaftet werden, könnte man den Fonds auch als „Eurobonds light“ bezeichnen. Er wäre ein geeignetes Werkzeug, das den strauchelnden Krisenländern erlaubt, ihre Altschulden mithilfe niedriger bezinster Anleihen abzubauen.


Weder Eurobonds noch Schuldentilgungsfonds ohne gemeinsame Fiskalunion, lautet Merkels Credo. Doch mit dem Druck bröckelt langsam auch der Widerstand der Kanzlerin. Sie weiß: In den sauren Apfel muss Deutschland als Wirtschaftsmotor einer strauchelnden Union ohnehin beißen – je länger Merkel aber wartet, desto teurer wird es. Kurzfristige Maßnahmen in der Krisenbekämpfung sind schon in der Vergangenheit wirkungslos verpufft. Nun aber hat die Politik der Kanzlerin eine Chance: Der Schuldentilgungsfonds könnte die Sparmaßnahmen in den Schuldenländern finanzieren. Sie sollte nicht darauf warten, bis eine Fiskalunion Realität ist. Dann könnte es für die Währungsunion bereits zu spät sein.

E-Mails an: anna.gabriel@diepresse.com

("Die Presse", Print-Ausgabe, 15.06.2012)

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