Wo ist die Euro-Ratingagentur geblieben?

US-Ratingagenturen werden gern kritisiert - aber ernst genommen.

Wir haben jetzt schon länger nichts mehr von der (zeitweilig auch von österreichischen Politikern vehement verlangten) Gründung einer europäischen Ratingagentur gehört. Das könnte sich aber ändern: In Russland ist die Empörung über die jüngste Abstufung durch eine US-Agentur ja groß, und es ist viel von „Wirtschaftskrieg“ die Rede.

Und Österreich gerät auch wieder ins Visier der Bonitätsprüfer: Am Donnerstag hat S&P vor einem Heta-Konkurs gewarnt und Reformen eingefordert, am Freitag hat Moody's seine Bewertung abgegeben.

Sind diese Beurteilungen politisch beeinflusst? Nun: S&P hat gezeigt, dass die Rater durchaus Klientelpolitik betreiben. Denn dass die hochqualifizierten Kreditanalysten zu dämlich sind, Landes- und Bundeshaftungen auseinanderzuhalten (das wurde beim S&P-Auftritt in Sachen Heta ja wild vermischt), kann uns keiner einreden.

Die Ratings selbst sind aber offenbar doch plausibel und werden ernst genommen. Eine teure europäische Agentur würde also entweder zu ähnlichen Schlüssen wie die drei US-Institute kommen – oder man könnte sich den Aufwand ersparen.

Den Beweis dafür liefert gerade China: Die Chinesen haben mit Dagong eine solche eigene Agentur. Und sie urteilt ganz offenbar so, wie es die Machthaber gern sähen: Russland (A/stabil) und die USA (A-/stabil) werden annähernd gleich eingestuft, während bei den US-Agenturen Welten zwischen der Bonität der USA (AAA) und Russlands (BBB–) liegen.

Würde man Dagong ernst nehmen, müsste eigentlich die ganze Welt verzweifelt versuchen, von Dollar- auf Rubel-Anleihen umzuschichten. Denn die Rubel-Rendite ist ungefähr siebenmal so hoch wie jene für Dollar-Anleihen (laut China-Rating bei fast gleichem Risiko).

Tut sie aber nicht. Selbst China, das mit 1,2 Billionen Dollar-Reserve der größte Financier des US-Defizits ist, hört ganz offenbar nicht auf die eigene Agentur. Ratings eignen sich also wohl nur bedingt als Propagandainstrument. Wenn es hart auf hart geht, zählt so etwas wie Vertrauen in die Expertise. Und das haben die „großen drei“ offenbar. Noch.

josef.urschitz@diepresse.com

("Die Presse", Print-Ausgabe, 28.02.2015)

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