Die Bahn und ihr Perpetuum mobile

Beim Semmeringtunnel wird mit wunderlichen Zahlen argumentiert.

Angesichts der immer drückender werdenden Budgetnöte ist es um die Ausbaupläne der Bahn, die künftige Generationen (einschließlich Finanzierungskosten) mit insgesamt gut 60 Mrd. Euro belasten werden, seltsam still geworden. Das ist bemerkenswert, denn die europaweite Entwicklung besonders des Güterverkehrs zeigt ja, dass die Verkehrsprognosen, auf denen die Pläne beruhen, nun ja, reichlich überoptimistisch zu sein scheinen – es also Luft für Einsparungen gibt.

Trotzdem werden die Projekte mit bemerkenswerter Sturheit vorangetrieben. Man kann das aus den Protokollen der jüngsten Verhandlung zum Thema Semmeringtunnel vor dem Bundesverwaltungsgericht sehr schön herauslesen: Da wird Kritik an zu optimistischen Verkehrsprognosen, auf denen ein (einschließlich Finanzierung) immerhin sechs Mrd. Euro teures Tunnelprojekt basiert, mit einem „Prognosen ändern sich ohnehin jedes Jahr“ weggewischt, da wird mit Expertisen von „unabhängigen“ Gutachtern argumentiert, die in ihren Hauptberufen Auftragnehmer der ÖBB sind, da werden volkswirtschaftliche Effekte behauptet, die offenbar nicht einmal der ÖBB-Chef selbst für seriös hält.

Beispielsweise der behauptete Multiplikatoreffekt von 5,11 beim Semmeringtunnel (soll heißen, jeder dort investierte Euro bringt sozusagen 5,11 Euro zurück). Dass deutsche Gutachter von 0,2 bis 0,4 ausgehen und ÖBB-Chef Kern selbst in einem „Presse“-Interview diesen Nutzeneffekt mit 0,9 bis 1,3 angegeben hat, stört die bahninterne Tunnellobby wenig: „Wir bleiben bei 5,11“, hieß es im Verfahren. Also bei der Erfindung einer Art finanziellen Perpetuum mobile...

Angesichts solcher „Mir san mir“-Mentalität gewinnt der im vorigen Herbst von Notenbank-Präsident Claus Raidl gemachte Vorschlag neue Aktualität, die Tunnelbauten, die mangels entsprechender Verkehrsentwicklung zurzeit ohnehin niemand benötigt, vorerst einmal für fünf Jahre auszusetzen und das Geld unterdessen für Sinnvolleres zu verwenden.

Zumal es „das Geld“, das hier verbraten wird, ja gar nicht gibt. Es muss erst defiziterhöhend ausgeliehen werden.

Email an: josef.urschitz@diepresse.com

("Die Presse", Print-Ausgabe, 05.03.2015)

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