Das Geheimnis des Herrn Schäuble

Berlin zeigt vor, wie vorausschauende Budgetpolitik aussehen könnte.

Wieso schafft Deutschland eigentlich Budgetüberschüsse, während andere Euroländer (darunter Österreich) trotz rasant steigender Steuerleistung mit ihrem Geld partout nicht auskommen? Ein Rätsel, dessen Lösung man sehr nahe kommt, wenn man die Reaktion der Finanzverantwortlichen auf die derzeitige Flüchtlingskrise ansieht.

Wie berichtet, läuft derzeit in der Eurozone eine unter anderem von Österreich angezündete intensive Diskussion, ob man die beträchtlichen zusätzlichen budgetären Flüchtlingskosten nicht aus den Budgets „herausrechnen“ sollte. So könnten nämlich die Finanzminister ohne Berücksichtigung der tatsächlichen Finanzlage weiter stolz die Realisierung „struktureller“ Nulldefizite verkünden.

Ein nicht unwesentliches Land macht da aber nicht mit: In Deutschland überlegt Finanzminister Schäuble gerade ein Mini-Sparpaket über 500 Mio. Euro, um die eskalierende Lage finanziell zu bewältigen. Deutschland ist übrigens eines der wenigen Länder, das einen Milliarden-Budgetüberschuss erwirtschaftet. Der reicht aber offenbar nicht, um die gesamten Flüchtlingskosten zu decken. Und so trifft man eben Vorsorge, dass kein Finanzloch entsteht. Vorausschauende Budgetpolitik nennt man das. Im Gegensatz zu Österreich, Italien etc., die es mit Unter-den-Teppich-Kehren probieren.

Die Deutschen meinen, das ginge sich ohne neue Schulden aus, weil ja die Steuereinnahmen trotz verhaltener Konjunktur kräftig sprudeln würden. Das tun sie allerdings auch in Österreich: Bis Ende Juli ist das diesjährige Steueraufkommen um 3,9 Prozent gewachsen. Die Position „Steuern aus Einkommen und Vermögen“ sogar um 6,1 Prozent.

Der Staat hat also einen beträchtlichen realen „Einkommenszuwachs“ – und kommt trotzdem auch heuer mit dem Geld nicht aus. Spielraum gibt es da sowieso keinen.

Statt noch mehr Schulden zu verstecken, könnte man vielleicht einmal die offenbar aus dem Ruder gelaufene Ausgabenseite anschauen. Da wird sich die Milliarde, die das Flüchtlingsdesaster im kommenden Jahr mindestens kostet, wohl finden lassen.

josef.urschitz@diepresse.com

("Die Presse", Print-Ausgabe, 16.09.2015)

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