Fakten stören auf dem Wohlfühl-Ponyhof der Intellektuellen

Migrants walk to the Austrian border in Nickelsdorf from Hegyeshalom
Migrants walk to the Austrian border in Nickelsdorf from HegyeshalomREUTERS
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In der Flüchtlingskrise zeigt sich eine unfassbare Realitätsferne der heimischen Elfenbeintürme.

Wir tappen noch im Dunkeln über die finanziellen und sozialen Kosten der immer weiter anschwellenden Migrationswelle. Ein trauriges Faktum hat die herrschende „Ausnahmesituation“ (Angela Merkel) aber schon enthüllt: die unfassbar groß gewordene Entfernung einiger universitärer Elfenbeintürme von der Realität.

Die Zeitungen sind neuerdings jedenfalls voll von professoralen Gastbeiträgen, denen zufolge wir die „qualifizierteste Zuwanderung aller Zeiten“ erleben, zumal „60 Prozent der Syrer Matura“ aufwiesen. Die in den Arbeitsmarkt zu integrieren sei, wenn man nur wolle, ein Klacks. Sie würden das BIP gewaltig anschieben und das Demografieproblem flott lösen, zumal Migranten ja generell „Nettozahler ins System“ seien. Kurzum: Wir würden „mit der Flüchtlingskrise aus der Wirtschaftskrise“ finden.

Darf man die süße Ponyhof-Party mit ein paar Fakten stören? Die deutsche Arbeitsministerin, Andrea Nahles (SPD), hat vor ein paar Tagen festgestellt, dass mehr als die Hälfte der derzeit Ankommenden überhaupt keine Qualifikation für den hiesigen Arbeitsmarkt aufweist. Viele seien Analphabeten, nicht einmal jeder Zehnte sei geeignet, direkt in den Arbeitsmarkt einzusteigen. Nahles: „Der syrische Arzt ist leider nicht der Normalfall.“ Das wird auf viele Jahre wohl eher der syrische Sozialhilfebezieher sein.

Das deckt sich mit Erfahrungen aus der Schweiz (85 Prozent der Asylberechtigten bekommen noch nach fünf Jahren Sozialhilfe) und aus Wien (praktisch alle anerkannten Tschetschenen, Afghanen und Somalier sind dauerhaft in der Mindestsicherung).

Wir müssen uns also in nächster Zeit zuerst einmal auf eine wirklich gewaltige Belastung des Sozialsystems einstellen. Hoffen wir, dass die Integration bei einem größeren Teil halbwegs klappt und daraus langfristig positive Effekte entstehen. Aber jetzt so zu tun, als würden zehntausende schlecht bis gar nicht Qualifizierte praktisch nahtlos den Boom auslösen, auf den wir schon so lang gewartet haben – das ist beinahe schon furchterregende Naivität.

josef.urschitz@diepresse.com

("Die Presse", Print-Ausgabe, 26.09.2015)

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