Ein Gipfel der altbackenen Rezepte

(c) APA/HERBERT NEUBAUER
  • Drucken


Ein Vorschlag zum Arbeitsmarktgipfel: Finanziert die Wohnbauoffensive doch aus den Spekulationstöpfen der Länder und fangt endlich mit Strukturreformen an!

Deutschland hat gestern einen Rekord gemeldet: Seit exakt 25 Jahren war die Arbeitslosenrate nicht mehr so niedrig wie jetzt. Tendenz: weiter fallend.

In Österreich kommen heute Vormittag Sozialpartner und Regierung zusammen, um Strategien zur Bewältigung des genauen Gegenteils zu besprechen: Noch nie in der Zweiten Republik hatten wir eine so hohe Zahl an Arbeitslosen wie jetzt. Und die Tendenz zeigt weiter nach oben: Im kommenden Winter werden wir voraussichtlich die halbe Million bei der Arbeitslosenzahl knacken. Und wohin wir mit den zusätzlich mindestens 100.000 für die hiesigen Anforderungen schlecht bis gar nicht qualifizierten Neubürgern, die uns die aktuelle Migrationswelle ins Land bringt, auf dem ausgetrockneten Arbeitsmarkt sollen, ist auch noch niemandem klar.

Wir stellen diesen Gegensatz deshalb so prominent heraus, weil er die gängige Ausrede, das Arbeitsmarktdesaster habe seine Ursache in einer von wild gewordenen US-Investmentbanken ausgelösten Weltwirtschaftskrise, recht eindrucksvoll zertrümmert: Die Krise müsste ja auch in Deutschland wirken. Die Probleme auf dem hiesigen Arbeitsmarkt sind also wohl hausgemacht.

Wir wollen hier nicht der ideologischen Frage nachgehen, wieso ausgerechnet das einzige europäische Land, das so etwas wie eine milde Form von Austerität praktiziert, also versucht, seinen Staatshaushalt in Ordnung zu halten, boomt, während die fröhlichen Alpen-Keynesianer (die allerdings immer nur den Schuldenteil, also lediglich die Hälfte der Lehre des alten Lord Keynes praktizieren) ihre Konjunktur konsequent an die Wand knallen.

Aber man kann diesen Aspekt nicht ganz ausklammern. Denn „Arbeitsplatzgipfel“ pflegen hierzulande in ein „Konjunkturpaket“ zu münden, das klassische keynesianische Bau-Investitionen enthält. Die bringen meist kurzfristig Erleichterung, sind aber keine nachhaltige Maßnahme, um die Struktur des Arbeitsmarktes zu verbessern.

Diesmal ist es eine Wohnbauoffensive. Nicht, dass man die nicht brauchen würde. Im Gegenteil: Die angepeilten 30.000 zusätzlichen Wohnungen innerhalb von sieben Jahren werden angesichts der jüngsten Entwicklungen ohnehin bei Weitem nicht reichen. Aber die Art der Finanzierung über eine mit Staatshaftungen versehene Wohnbaubank ist halt leider eine, die früher oder später die ohnehin schon aufgeblähten Staatsschulden erhöhen wird.

Dabei liegt das Wohnbaugeld milliardenweise herum: Zahlreiche Bundesländer haben die Rückflüsse aus aushaftenden Wohnbaudarlehen nicht, wie ursprünglich vorgesehen, für die Gewährung neuer Wohnbaukredite verwendet. Sondern die Darlehen auf dem Kapitalmarkt versilbert und den Erlös für teils windige Spekulationen auf den Finanzmärkten verwendet. Ein nicht unbeträchtlicher Teil dieser zweckentfremdeten Mittel ist schon verbraten, aber einiges ist noch da. Allein Niederösterreich hat noch 2,4 Mrd. Euro in seinem Spekulationsfonds liegen. Wenn alle Bundesländer ihre zweckentfremdeten Wohnbaumillionen herausrücken müssen, bekäme man mindestens fünf Mrd. Euro für eine Wohnbauoffensive zusammen. Damit könnte man schon ordentlich klotzen. Und zwar ohne einen einzigen Euro neuer Staatsschuld aufnehmen zu müssen.

Die Bundesländer wollen nicht? Dann brauchen wir wohl eine ohnehin überfällige Föderalismusreform. Und, bei der Gelegenheit: Der Wohnbauförderungsbeitrag, immerhin ein Prozent der Lohnsumme, gehört natürlich auch wieder zweckgewidmet. Macht eine weitere Beinahe-Milliarde im Jahr. Das wäre einmal eine wirtschaftsfreundliche Verwendung von Lohnnebenkosten.

Man sieht, das Geld liegt sozusagen auf der Landesstraße. Man muss es nur aufheben. Dazu müsste sich die Regierung aber den wirklichen Problemen (etwa der etwas entgleisten föderalen Struktur) zuwenden, statt Tage mit der Diskussion der sinnbefreiten Frage zu verplempern, ob man einen Zaun nun „technische Sperre“, „bauliche Maßnahme“ oder „Türl mit Seitenteilen“ nennen soll.

Der keynesianische Teil der Arbeitsmarktoffensive wäre damit abgehandelt. Jetzt brauchen wir noch etwas Nachhaltiges, denn die Wohnbaumilliarden sind irgendwann verbaut. Und mit der Bauwirtschaft allein lassen sich mehr als eine halbe Million Arbeitslose nicht aus der Statistik zaubern.

Da ist die angedachte Senkung der Lohnnebenkosten ein wichtiger, wenn auch kleiner Schritt. Dieses Problem muss man strukturell angehen, und da kann man durchaus auch ein wenig bei Deutschland kiebitzen. Denn es ist ja kein Zufall, dass dort die Arbeitslosigkeit so rekordverdächtig sinkt.

Vor allem muss man sich einmal anschauen, wo die wirtschaftliche Lethargie herkommt, die das Land derzeit (ganz im Gegensatz zum „Wir schaffen das“-Nachbarland) lähmt. Stark vereinfacht: Betriebe investieren zu wenig, weil sie keine Zukunft sehen. Wenn sie doch investieren wollen, stoßen sie schnell an Finanzierungsgrenzen; eine überbordende Bürokratie macht ihnen das Leben schwer; wenn sie Arbeitskräfte einstellen wollen, verheddern sie sich in sinnlosen und teuren Regularien; relativ unflexible Arbeitsmodelle treiben die Lohnstückkosten hoch.

Großunternehmen reagieren darauf mit Abwanderung, KMU, das Herzstück der Wirtschaft, mit „Hut drauf“. Das ist die eigentliche Ursache des Arbeitsplatzdilemmas. Um das zu beseitigen, brauchen die Unternehmen Entbürokratisierung, Flexibilisierung, bessere Möglichkeiten der Kapitalmarktfinanzierung. Dann wird auch die Stimmung wieder in Richtung Investitionsfreude steigen.

Kurz gesagt. Der Reformstau gehört endlich aufgelöst. Das schafft ein zweistündiger Gipfel im Bundeskanzleramt natürlich nicht. Wir sollten uns also vom Arbeitsmarktgipfel nicht viel erwarten – aber umso intensiver auf ein Ende der Reformblockade drängen.

E-Mails an:josef.urschitz@diepresse.com

("Die Presse", Print-Ausgabe, 30.10.2015)

Lesen Sie mehr zu diesen Themen:


Dieser Browser wird nicht mehr unterstützt
Bitte wechseln Sie zu einem unterstützten Browser wie Chrome, Firefox, Safari oder Edge.