Die Ökonomen und ihre rosa Brillen

Kann Zuwanderung aus Mittelost wirklich die Wirtschaft retten?

Bisher hat es so ausgesehen, als wäre nur die Regierung angesichts der Flüchtlingskrise von einer seltsamen Wahrnehmungsstörung befallen. Dort hält man ja die vollständige Aufgabe der staatlichen Souveränität an den Grenzen für einen humanitären Akt und vertritt ernsthaft die Ansicht, es sei unmöglich, den Zutritt von 10.000 Menschen pro Tag geordnet und kontrolliert abzuwickeln.

Jetzt hat das seltsame Phänomen offenbar auch die Ökonomen erfasst: Das Deutsche Institut für Wirtschaftsforschung (DIW) hat diese Woche gemeint, der wirtschaftliche Effekt der Flüchtlingswelle wäre im günstigsten Fall schon nach vier Jahren positiv, nach sechs Jahren würden die Neubürger vielleicht schon mehr bringen, als sie kosten. Und der (freilich deutlich kritischere) Linzer Uni-Professor Friedrich Schneider meint, die Flüchtlinge würden ihre Kosten „um das Zwei- bis Dreifache“ hereinspielen.

Das widerspricht zwar allen praktischen Erfahrungen. Etwa jenen der Schweizer und Norweger, bei denen nach fünf Jahren noch bis zu 85 Prozent der Asylberechtigten im Sozialsystem hängen. Und es widerspricht auch den Erfahrungen des österreichischen AMS und des deutschen Arbeitsministeriums, die außerordentlich schlechte Qualifikationen für den hiesigen Arbeitsmarkt orten. Aber wozu braucht man Realität, wenn man ökonometrische Modelle hat?

Die ergeben beispielsweise, dass 100.000 Neubürger in Österreich das BIP um 0,25 Prozent erhöhen und damit die Wirtschaft anschieben werden. Der BIP-Zuwachs ist tatsächlich plausibel: Der kommt sogar heraus, wenn man 100.000 Grund- und Mindestsicherungsbezieher über Staatsschulden finanziert.

Allerdings fehlt da eine kleine Schlussrechnung. Das BIP sagt nämlich gar nichts. Relevant ist das BIP pro Kopf. Und das sinkt, wenn die Bevölkerung um ein 1,2 Prozent wächst, die Wirtschaft aber nur um 0,25.

In der Praxis wird die Integration eine sehr langwierige und teure Sache. Sie wird langfristig hoffentlich funktionieren. Politisch opportune Happy-Pepi-Prognosen sind dabei aber wenig hilfreich.

josef.urschitz@diepresse.com

("Die Presse", Print-Ausgabe, 07.11.2015)

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