Findet die Regierung jetzt langsam in die Realität zurück?

Finanzminister Schelling sieht die Lage von Asylberechtigten auf dem Arbeitsmarkt äußerst skeptisch.

Jetzt wird die Sicht auf die Flüchtlings-/Migrationskrise offenbar auch in Teilen der Regierung kritischer: Finanzminister Schelling etwa sagte gestern, nur sieben bis neun Prozent der jetzt Ankommenden seien kurzfristig in den Arbeitsmarkt integrierbar, die Übrigen würden für längere Zeit in der Mindestsicherung landen. Das ist die erste Aussage eines Regierungsmitglieds, die sich mit Erfahrungen aus Deutschland, Schweden und anderen Zielländern deckt.

Das konterkariert doch sehr die bisherigen Happy-Pepi-Statements einiger Politiker, Ökonomen und offenbar auf Billigstarbeitskräfte hoffender Industrieller, die davon gesprochen haben, man könne Zehntausende mit sehr niedrigem Qualifikationsniveau einfach so blitzartig in den ohnehin angespannten Arbeitsmarkt integrieren – und das Ganze werde dann einen Konjunkturimpuls auslösen.

Und es relativiert den dümmlichen, auch hierzulande zuletzt häufig gehörten Spruch, es gebe „keine Obergrenze“ für den Zuzug. Natürlich gibt es die. Als Faustregel kann gelten: Mindestsicherung für 100.000 Personen kostet eine Milliarde im Jahr. Das hält das Land aus. Landwirtschaft, Bundesbahn und Verwaltungsineffizienz verschlingen deutlich mehr Steuergeld.

Aber wenn die Zuwanderungswelle (samt erwartbarem Familiennachzug) nicht abebbt – und derzeit deutet nichts darauf hin –, dann türmt sich mit der Zeit eben Milliarde auf Milliarde. Und irgendwann ist dann Schluss mit der Finanzierung des Sozialsystems.

Die Regierung würde gut daran tun, diese Grenze halbwegs zu definieren und ihre mittelfristige Asylpolitik danach auszurichten. Das ist zwar schwierig, wenn man aktuell nicht einmal die Grenze wirklich unter Kontrolle hat. Aber die inhumanste Politik wäre, sich von den Ereignissen einfach planlos überrollen zu lassen – und am Ende dann mit einem kaputten Sozialsystem für alle dazustehen. In diesem Sinn ist es gut, dass wenigstens ein paar Regierungsmitglieder zur Realität zurückzufinden scheinen.

josef.urschitz@diepresse.com

("Die Presse", Print-Ausgabe, 14.11.2015)

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