Der Exportboom auf dem Papier

Die Wirtschaft stockt und wir feiern Exportrekorde. Dank geht an die Globalisierung, Zalando und Marsmännchen.

Wer sagt eigentlich, dass in der Wirtschaft heute immer alles schlecht ist? Auch mitten in der großen Stagnation gibt es erfreuliche Nachrichten: Obwohl die Börsen krachen und die Konjunktur stottert, legen die meisten Länder einen Exportrekord nach dem anderen hin. Die Deutschen verkauften 2015 etwa Waren im Wert von 1,196 Billionen Euro ins Ausland – mehr als je zuvor. Auch Österreich bereitet sich schon auf ähnliche Jubelmeldungen vor: Heimische Politiker stellen den fünften Exportrekord in Folge in Aussicht. Das ist doch mal was. Aber wie geht sich das aus, wo Österreichs Wirtschaft in dieser Zeit kaum gewachsen ist?

Bevor jetzt irgendein Politiker „Meine tolle Exportinitiative!“ rufen kann, ein kurzer Einschub aus der Welt der Ökonomen: Die Zahlen sind schlichtweg falsch, sagen sie. Und betroffen ist die ganze Welt. Der Grund: Anders als vor 30 Jahren schrauben heute meist mehrere Länder an ein und demselben Produkt. Und jedes Mal, wenn die halb fertige Ware ein Land verlässt, verbucht sie dieses als ihren Export. Bevor ein Produkt also gekauft werden kann, ist es gut und gerne sieben Mal „exportiert“ worden. Ein geschätztes Viertel des Exportbooms der vergangenen Jahre wurde dadurch künstlich aufgebläht.

Dieser Effekt lässt freilich auch die Importzahlen steigen. Sollte Österreichs Handelsbilanzdefizit 2015 also wirklich geschrumpft sein, bleibt das eine gute Nachricht. Die alljährliche Jubelmeldung zum Exportrekord sollte aber mit Vorsicht genossen werden.

Zumal man ja auch nicht weiß, was sich sonst noch alles hinter den schönen Zahlen verbirgt. Die Schweizer feierten 2015 etwa einen verdächtig hohen Anstieg der Exporte der Textilindustrie. 6,6 Prozent mehr Kleidung sollen die Eidgenossen ans Ausland verkauft haben – trotz des starken Frankens, der die Ausfuhren verteuert. Zu schön, um wahr zu sein? Erraten! Statistiker haben die Ursache hinter dem plötzlichen Boom der Textil- und Schuhindustrie ausgemacht: den „Zalando-Effekt“. Ein Großteil der vermeintlichen Exporte sind demnach in Realität Schuhe, Hosen und Hemden, die unzufriedene Käufer an den Online-Versandhändler retoursenden. Da Zalando dafür keine Gebühr verlangt, machen die Kunden exzessiv davon Gebrauch. Etwa jeder dritte Einkauf wird retourniert.

Wer jetzt nicht weiß, was er noch glauben soll, dem sei ein Rechenbeispiel des „Economist“ ans Herz gelegt: Das Magazin hat vor einigen Jahren gezählt, wie viel alle Länder der Erde in Summe exportiert und importiert haben. Das Ergebnis: 2010 hat die Welt offiziell um 331 Milliarden Dollar mehr exportiert als importiert. Die guten Geschäfte mit dem Mars haben offenbar schon begonnen.

E-Mail: matthias.auer@diepresse.com

("Die Presse", Print-Ausgabe, 10.02.2016)

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