Milliarden für europäisches Politikversagen

Ohne kontrollierte Außengrenze ist Europa wohl bald Geschichte.

Mindestens 1,2 Mrd. Euro im Jahr würde Österreich ein Zusammenbruch des Schengen-Raums kosten, hat WKO-Chef Christoph Leitl neulich vorgerechnet. Man müsse deshalb dringend vor Grenzzäunen innerhalb Europas warnen.

Da hat der Wirtschaftskammer-Chef natürlich recht: Das Europa ohne Grenzen war eine der großen politischen Errungenschaften der letzten Jahrzehnte. Man darf es deshalb nicht leichtfertig aufs Spiel setzen.

Wenn wir aber schon beim Aufsummieren sind, machen wir seriöserweise auch die Gegenrechnung auf: Die Nichtsicherung der Schengen-Außengrenze hat zu einer Migrationswelle geführt, die Deutschland nach Berechnungen des Kieler Instituts für Weltwirtschaft im günstigsten Fall (Flüchtlingszahl sinkt bis 2018 auf ein Drittel) 25 und im ungünstigsten Fall (alles bleibt, wie es 2015 war) 55 Mrd. Euro pro Jahr kosten wird.

Nach der groben Eins-zu-zehn-Regel auf Österreich heruntergebrochen wären das hierzulande dann zwischen 2,5 und 5,5 Mrd. Euro an Migrationskosten. Selbst wenn man das um die Kosten der „echten“ Kriegsflüchtlinge (das sind je nach Szenario 20 bis 40 Prozent der Ankommenden) reduziert, sind die, die die ungeregelte Einreise von Wirtschaftsmigranten verursacht, noch immer deutlich höher als die, die durch die in Notwehr errichteten innereuropäischen Grenzzäune entstehen.

In Wahrheit muss man die beiden Schadenspositionen ohnehin addieren. Die ungeregelte Einreise von Wirtschaftsmigranten und die Wiedererrichtung von innereuropäischen Grenzbarrieren haben ja eine gemeinsame Ursache: das Versagen der Schengen-Länder bei der Sicherung der gemeinsamen Außengrenze, die eine Grundbedingung für offene Binnengrenzen ist.

Dieses Versagen liegt zwar durchaus auf einer Linie mit dem Zustand anderer Europa-Vereinbarungen – von Dublin bis Maastricht. Aber wenn hier nicht sehr schnell eine Umkehr gelingt, dann kann man das gemeinsame Europa gleich begraben. Traurig, dass man nicht den Eindruck hat, dass das schon tief genug ins Bewusstsein der wichtigeren westeuropäischen Staatskanzleien vorgedrungen ist.

josef.urschitz@diepresse.com

("Die Presse", Print-Ausgabe, 16.02.2016)

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