Unterwegs mit der deutschen Kreditkarte

EZB-Chef Mario Draghi
EZB-Chef Mario DraghiREUTERS
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In der Eurozone bauen sich schon wieder große Ungleichgewichte auf.

Der nächste Chef der Euro-Notenbank (EZB) müsse ein Deutscher sein, hat der bayerische CSU-Politiker Hans-Peter Uhl gefordert. Ein durchaus verständlicher Wunsch, denn die Euro-Notenbankpolitik des lockeren Geldes entspricht so gar nicht den Vorstellungen, den unsere Nachbarn vom Wirtschaften haben.

Wenn die „nicht deutsche“ Notenbankpolitik wenigstens erfolgreich wäre! Aber leider sind die Wirkungen der Kombination aus Geldflut und Nullzinsen sehr, nun, sagen wir, überschaubar. Der angestrebte Effekt – Anhebung der Inflationsrate auf den EZB-Zielwert von zwei Prozent als Folge erstarkter Wirtschaftstätigkeit – ist selbst mit der Lupe nicht zu sehen. Im Gegenteil: Die Eurozone wandelt permanent am Rand der Deflation dahin und die einschlägigen Korrekturen der Konjunkturprognosen weisen seit mehreren Jahren permanent nach unten.

Die Medizin wirkt also nicht wie gewünscht. Dafür sind die Nebenwirkungen umso gravierender, je länger die Nullzinstherapie andauert. Eine ist beispielsweise das Ende jeder vernünftigen privaten Vorsorge. Eine andere ist der Freibrief, der reformunwilligen Regierungen (und das sind leider die meisten in der Eurozone) ausgestellt wird, wenn Staatsschulden nichts mehr kosten.


Das führt dazu, dass Südeuropa offenbar schon wieder intensiv mit der deutschen Kreditkarte auf Shoppingtour ist. Man sieht das daran, dass das EZB-Clearingsystem Target II gerade wieder am Entgleisen ist. In einem gesunden Umfeld sollten die sogenannten Target-Salden einigermaßen ausgeglichen sein (was sie bis zum Ausbruch der Krise 2008 auch tatsächlich waren). Doch in den vergangenen Monaten haben sich wieder gewaltige Ungleichgewichte aufgebaut. Die Target-Verbindlichkeiten von Spanien, Griechenland und Co. steigen stark, ebenso die Target-Forderungen Deutschlands, die mit mehr als 600 Milliarden Euro schon fast wieder auf dem Niveau zum Höhepunkt der Eurokrise vor vier Jahren sind.

Das sieht nicht sehr gesund aus. Und verlangt ganz offenbar nach einer Medizin, die Dr. Draghi nicht in seinem Medizinschrank hat.

josef.urschitz@diepresse.com

("Die Presse", Print-Ausgabe, 19.04.2016)

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