Stagnation sollte man auch so nennen

Der Neustart setzt eine schonungslose Analyse des Istzustands voraus.

Optimismus und Frohsinn sind zwar erste Bürgerpflicht beim viel zitierten Neustart. Das kann aber nicht heißen, dass wir uns den Istzustand schönreden. Schonungslose Analyse steht ja am Beginn jeder erfolgreichen Sanierung.

Gestern haben wir beispielsweise erfahren, dass die Wirtschaft im ersten Quartal schneller als erwartet gewachsen ist und das daran der durch die Steuerreform stimulierte private Konsum besonders hilfreich mitgewirkt hat.

Kann man so sehen. Wenn allerdings das bereinigte BIP im Jahresabstand um real 1,1 Prozent wächst und die Bevölkerung gleichzeitig um etwas mehr als ein Prozent zunimmt, dann könnte man das natürlich auch Stagnation nennen. Und wäre damit wohl deutlich näher an der Wahrheit.

Der private Konsum hat übrigens um 0,3 Prozent zugelegt. Das ist exakt der Wert, den beispielsweise die Nationalbank als Steigerung des privaten Konsums durch Flüchtlingsausgaben festgemacht hat. Stimmt das, dann ist der Effekt der Steuerreform in der Gegend von null. Man kann natürlich die tatsächlich eingetretene Beschleunigung des privaten Konsums einmal den Flüchtlingsausgaben und im nächsten Quartal der Steuerreform zurechnen. Aber seriös ist das nicht.

Schürft man ein wenig tiefer, dann sieht man, dass sich ein Teil des „mehr netto vom Brutto“ in der leicht gestiegenen (aber immer noch sehr niedrigen) Sparquote wiederfindet. Und der Rest von den diversen öffentlichen Händen per Steuern und (in noch viel höherem Ausmaß) Abgaben gleich wieder abgeschöpft wurde.

Daraus lassen sich für den Neustart gleich einmal zwei erste Eckpfeiler einschlagen: Die Konsumentenstimmung gehört angesichts des immer noch flauen Konsums als eine von vielen Maßnahmen tatsächlich verbessert. Das setzt aber unter anderem voraus, dass die immer lauter werdenden Steuererfinder aus AK, Wifo etc. eingebremst werden. Denn der abgeschöpfte Teil des Einkommens steht dem Konsum nun einmal nicht zur Verfügung. Und das Land leidet eindeutig nicht unter zu wenig Steuern, sondern unter (hoffentlich bald überwundener) Reformverweigerung.

josef.urschitz@diepresse.com

("Die Presse", Print-Ausgabe, 31.05.2016)

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