Die kranke Welt der Nullzinspolitik

Aus Krisennothilfe wird ein krasser Fall von Konkursverschleppung.

Erstmals in der Geschichte ist die Rendite der zehnjährigen deutschen Bundesanleihe negativ. Das ist bei Weitem nicht die erste europäische Staatsanleihe, bei der man draufzahlt, aber die mit Abstand wichtigste. Kaum ein Großinvestor kommt daran vorbei.

Großinvestoren sind in diesem Fall auch Pensionskassen und Versicherungen, die gesetzlich verpflichtet sind, einen bestimmten Anteil an Staatsanleihen in ihren Portfolios zu halten. Negative Rendite bedeutet hier: Lebensversicherungsnehmer und Pensionsvorsorger können sich ihre vermeintlichen Ansprüche in die Haare schmieren, wenn das länger anhält. Man erkennt daran, dass das, was die EZB mit ihrer Nullzinspolitik macht, eigentlich extrem krank ist. Kurzfristig als Notfallsmedizin geeignet, aber langfristig eine Katastrophe, die genau jene Fehlentwicklungen verstärkt, die sie zu bekämpfen vorgibt.

Über längere Zeiträume durchgeführte Nullzinspolitik macht Vorsorge unmöglich und erleichtert auf der anderen Seite Schuldenaufnahmen. Deutsche Kommunen beispielsweise treten derzeit exzessiv als Kreditwerber auf. Kurzum: Die Ursachen der Krise – staatliche und private Überschuldung sowie strukturelle Schieflagen – werden mit noch mehr Kreditschöpfung bekämpft, die es Staaten ermöglicht, Strukturreformen noch länger aufzuschieben.

Das ist der sichere Weg in den finalen Crash. Dass zinseszinsbasierte Schuldgeldsysteme wegen ihres systemimmanenten exponentiellen Wachstums von Schulden und den dem gegenüberstehenden Vermögen von Zeit zu Zeit resettet werden müssen, wusste schon der alte Moses, der deshalb im Alten Testament (5. Buch Mose) einen alle sieben Jahre durchzuführenden Schulden-Haircut samt Zinsverbot verfügte.

So viel Radikalität kann man von der EZB nicht verlangen. Aber zu versuchen, diesen Mechanismus mit permanenten Negativzinsen außer Kraft zu setzen, kann auch nicht die Lösung der Probleme sein. Im Gegenteil: Je länger das läuft, desto größer wird der Krach beim Ausstieg. Was hier abgeht, ist schon lang nicht mehr effizientes Krisenmanagement, sondern ein krasser Fall von Konkursverschleppung.

josef.urschitz@diepresse.com

("Die Presse", Print-Ausgabe, 15.06.2016)

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