Ministry of Silly Politics

Die EU verlassen, aber im Binnenmarkt bleiben – das kann teuer werden.

Die britischen Brexit-Fans sind nach dem von ihnen selbst nicht erwarteten Sieg beim Anti-EU-Volksentscheid im Vereinigten Königreich noch ein bisschen ratlos (weshalb auch der formelle Austrittsantrag noch auf sich warten lassen wird). Aber ein Punkt gilt als unumstritten: Ein möglichst ungehinderter Zugang zum EU-Binnenmarkt ist existenziell für das Land.

Vorbilder für die entsprechenden Verhandlungen mit der Gemeinschaft sollen die Modelle Norwegen und Schweiz sein, haben Leave-Politiker zuletzt verlauten lassen. Beides Nicht-EU-Mitglieder mit umfassender Einbindung in den gemeinsamen Markt.

Wie sehen diese Modelle aus? Die Schweiz hat sich den Zugang mit über 100 bilateralen Verträgen gesichert, Norwegen ist über den EWR in den Binnenmarkt integriert. Beide mussten im Gegenzug umfangreiche Binnemarktregelungen übernehmen, darunter Personenfreizügigkeit.

Und beide müssen ordentlich in EU-Töpfe einzahlen. Norwegen gehört sogar zu den größten Nettoeinzahlern in die Gemeinschaft. Pro Kopf liegen die norwegischen EU-Nettozahlungen ungefähr auf dem Niveau, das die Briten derzeit netto an die Gemeinschaft abliefern. Der Netto-pro-Kopf-Beitrag der Schweiz liegt niedriger, dafür ist die Finanzwirtschaft – ein wesentlicher Faktor für die Briten – von der Binnenmarktintegration ausgenommen.

Kurzum: Wenn die Briten die Binnenmarktteilnahme mit diesen Modellen erreichen wollen, dann zahlen sie annähernd gleich viel wie jetzt in EU-Töpfe ein, müssen einen Großteil der Binnenmarktregeln – darunter die Personenfreizügigkeit – übernehmen, hätten aber in Brüssel nichts mehr mitzureden.

Versprochen hat die Leave-Fraktion, dass das Königreich die EU-Zahlungen künftig für das eigene Gesundheitssystem verwenden könne und in seinen Entscheidungen völlig unabhängig werde. Eine dreiste Wahllüge. Aber: Wenn die Briten auf diese derzeit ernsthaft diskutierte Weise die Union verlassen wollen, dann schlagen wir für die konkreten Exit-Verhandlungen eine neue Behörde vor: das Ministry of Silly Politics.

josef.urschitz@diepresse.com

("Die Presse", Print-Ausgabe, 29.06.2016)

Lesen Sie mehr zu diesen Themen:


Dieser Browser wird nicht mehr unterstützt
Bitte wechseln Sie zu einem unterstützten Browser wie Chrome, Firefox, Safari oder Edge.