Die Türkei ist ein ökonomischer Zwerg

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Ankara ist wirtschaftlich in sehr hohem Maß von Europa abhängig.

Es ist verboten, sich an Russland zu vergreifen“, sagte ein Kreml-Sprecher, nachdem Türken einen russischen Kampfjet abgeschossen hatten und der Präsident in Ankara daraufhin auch noch patzig wurde. Die Folge: Harte russische Wirtschafts- und Tourismussanktionen. Die weitere Folge, vorgestern live zu besichtigen: Recep Tayyip der Prächtige murmelt „'tschuldigung“ und pilgert nach St. Canossa, äh, Petersburg. Offenbar kennen die Russen die Sprache, die man in Ankara versteht.

Eher unverständlich bis lachhaft klingen dort dagegen ganz offenbar die Hinsichtl-Rücksichtl-Schalmeientöne, die aus Brüssel zu vernehmen sind. Dabei hätte die EU allen Grund, selbstbewusst aufzutreten. Denn das G20-Land Türkei ist, auch wenn das am Bosporus gern anders gesehen wird, immer noch ein ökonomischer Zwerg, der wirtschaftlich in sehr hohem Maß von Europa abhängig ist: Fast 50 Prozent der Exporte gehen in die EU. Der überwiegende Teil davon stammt noch dazu aus verlängerten Werkbänken, die EU-Unternehmen dort aufgestellt haben. Übrigens: Die ganze große Türkei exportiert nicht mehr als das kleine Österreich allein.

Mehr als verbale Kraftmeierei kann sich Ankara da gar nicht leisten. Das (jetzt ohnehin brüsk gestoppte) türkische Wirtschaftswunder der vergangenen Jahre beruht ja fast zur Gänze auf Kapitalflüssen aus Europa und auf europäischen Investitionen im Land.

Aber brauchen wir die Türkei ökonomisch nicht mindestens ebenso wie sie uns? Dazu zwei Zahlen: 1,8Prozent der deutschen und 1,07 Prozent der österreichschen Exporte gehen in die Türkei. Ein Prozent ist nicht nichts, aber Abhängigkeit sieht doch irgendwie anders aus.

Natürlich ist das 80-Millionen-Land ein wichtiger Zukunftsmarkt, und geopolitisch liegt es auch nicht gerade an der Peripherie. Man sollte also versuchen, alle Kanäle offen zu halten und Business as usual zu betreiben. Aber es gibt nicht den geringsten Grund, das nicht mit entsprechendem Selbstbewusstsein zu tun. Konzilianz wird von Despoten nämlich leicht als Schwäche missverstanden. Da können wir von Putin noch lernen.

josef.urschitz@diepresse.com

("Die Presse", Print-Ausgabe, 11.08.2016)

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