Wie man Staatsschulden neutralisiert

Wir stecken gerade mitten in einem gefährlichen Experiment.

Die deutsche Tageszeitung „Die Welt“ hat diese Woche ein interessantes Gedankenexperiment durchgespielt: Die EZB, die ja in Gestalt ihrer nationalen Notenbanken schon jetzt Großgläubiger der Euroländer ist, könnte diese Staatsanleihen neutralisieren, indem sie sie in alle Ewigkeit streckt. Da die Zinszahlungen ohnehin als Notenbankgewinn in die Staatskassen zurückfließen, könnten die Staaten damit so tun, als seien sie entschuldet. Problem gelöst! Dass bisher noch keiner draufgekommen ist!

Man könnte jetzt natürlich den Kopf schütteln. Oder einwenden, dass einer Verbindlichkeit normalerweise eine Forderung gegenübersteht (beispielsweise der Pensionsanspruch des Autors), die dann natürlich auch neutralisiert wäre.

Aber nachdem einige deutsche Ökonomen das Gedankenspiel in Richtung „coole Idee“ kommentiert haben, muss man annehmen, dass Voodoo endgültig Einzug in die europäische Geldpolitik gehalten hat.

Tatsächlich haben die Euro-Notenbanken schon Staatsanleihen in einer Größenordnung angehäuft, die auf dem Markt ohne größere Turbulenzen ohnehin nicht mehr untergebracht werden kann. Sie finanzieren unterdessen via Unternehmensanleihenankäufen auch Unternehmen direkt. Und jetzt kommt auch immer öfter der Ankauf von Aktien ins Gespräch. Die Schweiz und Japan (dessen Notenbank übrigens bald größter Aktionär von 55börsenotierten Unternehmen sein wird) tun das übrigens schon.

Spätestens da wird die Sache langsam ungemütlich: Wir sehen gerade zu, wie große Notenbanken mittels aus Luft geschöpfter Milliarden mit einer De-facto-Reverstaatlichungswelle beginnen, und müssen außerdem beobachten, wie die Institutionen, die die Währungsstabilität absichern sollen, zu Bad Banks für uneinbringliche Staatsverbindlichkeiten umgebaut werden.

Wenn da nicht bald an Ausstieg gedacht wird, werden wir die Neutralisierung dieser Staatsschulden ohnehin erleben. Allerdings weniger sanft als vielmehr durch das Vergraben von Staatsschulden in den endlos aufblasbaren Bilanzen der Notenbanken.

E-Mails an: josef.urschitz@diepresse.com

("Die Presse", Print-Ausgabe, 27.08.2016)

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