Wie man einen Binnenmarkt „missbraucht“

Handyroaming und das seltsame Markverständnis der EU-Kommissare.

Ab dem kommenden Frühsommer wird es in der EU also kein Datenroaming mehr geben, womit endlich, Jahrzehnte nach dessen Gründung, auch im Telekombereich eine Art Binnenmarkt entsteht. Nicht ganz natürlich, denn die Telekomgesellschaften, und mit ihnen auch die EU-Kommission, sorgen sich ja ernsthaft darum, dass dieser Binnenmarkt „missbraucht“ werden könnte.

Wie, um Himmels Willen, missbraucht man einen Binnenmarkt? Lassen wir das den „Digitalkommissar“ der Gemeinschaft, Herrn Oettinger, erklären: In Irland seien die Handytarife sechsmal so hoch wie in Lettland. Wenn also ein in Irland lebender Ire dauerhaft mit einer lettischen SIM-Karte telefoniere, dann zwinge er seinen lettischen Provider, der teures irisches Datenvolumen zukaufen muss, zu einem Verlustgeschäft. Und das sei eben Missbrauch.

Ein interessanter Standpunkt, Herr Kommissar. Wir dachten bisher immer, der freie Fluss von Waren und Dienstleistungen sei das Wesen eines Binnenmarkts. Irrtum! Wenn also ein Wiener seinen Strom, sagen wir, von der Tiwag bezieht, dann ist Wien Energie demnach ein Missbrauchsopfer im heimischen Strombinnenmarkt. So funktioniert das also!

Natürlich verstehen wir das Grundproblem der Telekoms: Wenn die Tarife innerhalb des Marktes um den Faktor sechs auseinanderklaffen, dann muss ungehindertes, für Konsumenten kostenfreies Roaming zu einem blitzartigen Massensterben schlecht aufgestellter Telekoms führen.

Das Ganze ist aber ein politisches Problem: Es gibt in diesem Fall nämlich entweder Binnenmarktteilnehmer, die in diesen Markt nicht hineingehören, weil sie zu schwach sind. Oder es gibt regionale Platzhirsche, die per Datenvolumensverrechnung überzogene (und eigentlich binnenmarktswidrige) Marktzugangshürden aufstellen. In der Realität wird es wohl eine Kombination aus beidem sein.

Um dieses Marktversagen hätten sich eigentlich der Digitalkommissar und der Wettbewerbskommissar zu kümmern. Und nicht darum, wie man Konsumenten dafür bestraft, dass sie einen Binnenmarkt durch dessen Nutzung „missbrauchen“.

josef.urschitz@diepresse.com

("Die Presse", Print-Ausgabe, 28.09.2016)

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