Ohne große Reformen bleibt das Budgetproblem Dauergast

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Der Bund gibt immer noch um 5,78 Prozent mehr aus, als er einnimmt. Auch wenn die Verschuldung langsamer steigt: Budgetsanierung sieht anders aus.

Defizit, belehrt uns das Wirtschaftslexikon, ist der Überschuss der Ausgaben im Vergleich zu den Einnahmen. Die Regierung plant für das nächste Jahr Einnahmen von 73,16 und Ausgaben von 77,46 Milliarden Euro. Sie wird also, wenn ihr Plan aufgeht, trotz im internationalen Vergleich hoher Steuern um mindestens 4,3 Mrd. Euro oder 5,78 Prozent mehr ausgeben als einnehmen. Das ist das Defizit.

Das echte zumindest. Zum Glück für die Politik gibt es aber die international übliche Volkswirtschaftliche Gesamtrechnung, die den Fehlbetrag nicht an den Einnahmen, sondern am BIP bemisst. Da wären wir dann bei 1,2Prozent. Sieht schon freundlicher aus. Dann hat man noch das strukturelle Defizit erfunden, aus dem konjunkturelle Effekte und Einmaleffekte herausgerechnet werden (obwohl sie natürlich auch bezahlt werden müssen). Davon ziehen wir noch die Flüchtlingskosten ab, obwohl diese weder ein Einmal- noch ein Konjunktureffekt sind – und schon erfüllen wir die Budgetvorgaben aus Brüssel, die ein strukturelles Defizit von maximal 0,45 Prozent erlauben.

Ist doch schön, oder? Hat zwar mit der Wirklichkeit nichts mehr zu tun, aber international vergleichbar sind diese Werte – und in diesem Vergleich schneiden wir trotz eines real 5,78-prozentigen Fehlbetrags gar nicht so schlecht ab. Das sagt uns jetzt einiges über die vergleichsweise solide heimische Finanzpolitik und sehr viel über den vergleichsweise jämmerlichen budgetären Zustand der meisten übrigen EU-Länder.

Man muss Finanzminister Schelling zugutehalten, dass er im Rahmen der Möglichkeiten, die ihm gegeben sind, eine sehr ordentliche Politik macht. Er weist ständig auf das Ausgabenproblem hin, das diese Republik ganz ohne Frage hat. Er urgiert permanent die seit Jahrzehnten aufgeschobenen, immer dringender werdenden Strukturreformen. Er drängt auf eine effiziente Schuldenbremse, und es gelingt ihm, falls das Budget hält, die Neuverschuldung, also den Zuwachs der Staatsschulden, einzubremsen.

Wenn es gelänge, all die schönen Schelling-Aussagen in die politische Praxis umzusetzen, dann wäre budgetär viel gewonnen. „Aber“, um aus einem Brecht-Werk mit dem fürs Budget passenden Titel „Dreigroschenoper“ zu zitieren, „die Verhältnisse, die sind nicht so.“

Sie sind vielmehr so, dass, wie gestern passiert, Politiker aus den Regierungsparteien eine Verlangsamung des Staatsschuldenaufbaus schon als Schuldenabbau bejubeln, um nur die jenseitigste aller Budgetjubelmeldungen vor den Vorhang zu holen. Wie soll man ihnen erklären, dass ein Ausgabenüberhang von 5,78 Prozent kein Nulldefizit ist? Und schon gar kein Anlass, sich Gedanken darüber zu machen, wie man das „eingesparte“ Geld, das man nie hatte, jetzt am besten ausgeben könnte.


Wir können also feststellen, dass Schelling im Rahmen seiner Möglichkeiten ein sehr ordentliches Budget auf die Beine gestellt hat. Das aber schon deshalb nicht nachhaltig ist, weil die Voraussetzungen für jede echte Budgetsanierung, nämlich die Föderalismusreform und die Verwaltungsreform, weiterhin nicht in Sichtweite liegen. Schelling hat es nicht geschafft, den Finanzausgleich als Hebel für eine vernünftige Entwirrung zwischen Bund und Ländern zu nutzen. Und dass der Bundeskanzler dem neuen Beamtengewerkschaftschef gleich einmal öffentlichkeitswirksam mehr Beamte verspricht, ist auch nicht gerade ein Hinweis darauf, dass es irgendwelche Ambitionen in Richtung Bürokratieverschlankung gibt.

Diese Strukturen sorgen dafür, dass der Staat weiterhin mehr ausgeben als einnehmen wird. Und zwar, wie seit mehr als 40 Jahren gewohnt, permanent. Vom angestrebten ausgeglichenen Budget über die Konjunkturperiode, von dem alle so gern reden, sind wir ja immer noch so weit entfernt wie der IS von der Menschenrechtskonvention.

Man kann das mit Kennzahlen wie dem strukturellen Defizit trefflich verschleiern. Besser wäre es, der Budgetwahrheit ins Auge zu sehen. Und sie sieht mangels Reformwillen leider nicht so rosig aus, wie die Defizitmeldungen nach Brüssel vermuten lassen.

E-Mails an:josef.urschitz@diepresse.com

("Die Presse", Print-Ausgabe, 13.10.2016)

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