Zuletzt sprachen Beschneidungsgegner von „sexueller Gewalt“

Die deutsche Regierung will klarstellen, dass rituelle Beschneidungen von Buben in Deutschland möglich sein müssen. Das wäre ein Machtwort in einer überaus heftigen Debatte.

Das Stückchen Haut, das etlichen guten jüdischen Witzen die Pointe beschert, steht seit zwei Wochen im Zentrum einer hitzigen Debatte. Am 26. Juni hat ja das Kölner Landesgericht geurteilt, die Beschneidung von Buben sei als Körperverletzung strafbar. Nun erklärte Regierungssprecher Steffen Seibert: „Verantwortungsvoll durchgeführte Beschneidungen müssen in diesem Land straffrei möglich sein.“ Ob das heißt, dass sie per Gesetz explizit erlaubt werden sollen, war zunächst unklar. Dafür plädieren Grüne und SPD.

Befürworter und Gegner des Urteils waren in den letzten zwei Wochen immer schärfer in ihrer Wortwahl geworden. So nannte Ralf Bönt, Autor u.a. eines „notwendigen Manifests für den Mann“ namens „Das entehrte Geschlecht“, in der „Süddeutschen Zeitung“ die Beschneidung „sexuelle Gewalt“. Mit der Vorhaut schneide man „die männliche Empfindlichkeit und deren Schutz ab“, meint er: „Man kehrt den Mann nach außen, ins Ungeschützte.“

In solchen Stellungnahmen meinte man Mitleid im Wortsinn zu spüren – und die Angst, die Freud im „Mann Moses“ so erklärte: „Ferner hat unter den Sitten, durch die sich die Juden absonderten, die der Beschneidung einen unliebsamen, unheimlichen Eindruck gemacht, der sich wohl durch die Mahnung an die gefürchtete Kastration erklärt.“

„Das Kastrationstrauma, das deutsche Küchenpsychologen nun entdeckt haben, ist kaum ernst zu nehmen“, versicherte dagegen Jacques Schuster in der „Welt“: „Jedenfalls wiegt es nicht schwerer als die seelische Last des Heranwachsenden, von jüdischen Festen ausgeschlossen zu sein und nicht eingesegnet werden zu dürfen.“ Der katholische Philosoph Robert Spaemann verglich in der „Zeit“ die Beschneidung „in ihrer Schwere“ mit einer Masernimpfung und sah einen „beispiellosen Angriff auf die Identität jüdischer Familien“. Vom „schwersten Angriff auf jüdisches Leben seit dem Holocaust“, sprach Pinchas Goldschmidt, Präsident der Rabbinerkonferenz. „Es war die offizielle Politik Deutschlands in der Nachkriegszeit, wieder jüdische Gemeinden aufzubauen“, warnte er: „Wenn wir sagen, jüdische Tradition ist nicht salonfähig, dann wäre das ein kompletter Wandel.“

Braucht es wirklich ein Gesetz, das Beschneidung explizit erlaubt, oder gar ein „Recht auf Beschneidung“? Nein, meinte Heribert Prantl, Jurist und Leitartikler der „Süddeutschen Zeitung“, in einem Versuch, einen Ausweg zu skizzieren. Er tadelte zwar das Kölner Urteil heftig (es sei „gefühllos“, es habe „ohne Not Unfrieden in die Gesellschaft gebracht“), nannte es aber doch auch „akkurat“. Er meinte: „Es genügt, wenn das Recht nicht straft; das muss die Justiz schnell klarstellen. Das Strafrecht muss sich bescheiden und schweigen – auch wenn scheinbar die Tatbestandsmerkmale passen.“

Etliche Juristen würden dem wohl zustimmen, wenn das Wort „scheinbar“ durch „anscheinend“ ersetzt würde. Wenn man also klar sagte, dass eine Abwägung der Grundrechte ergibt (oder ergeben würde), dass Beschneidung von Buben „grundsätzlich“ strafbar sei. Dass es aber aus Respekt vor dem Judentum – und auch vor dem Islam – geboten scheint, dass sich das Strafrecht in der Praxis, wie Prantl sagt, „bescheidet“. Das ersparte den Juristen die bedenkliche Aussage, dass Religionsfreiheit in manchen Fällen über dem Recht auf körperliche Unversehrtheit stehe. Wie das nach dem jetzigen Vorstoß der Regierung gelöst wird, ist offen.

Wenig aussichtsreich scheint der Kompromiss, den Eingriff zu minimieren, der u.a. in der „NZZ“ erwogen wurde: Abraham habe, als er sich (laut Genesis mit 99 Jahren) und seine Knechte beschnitt, „nur einen Zipfel“ der Vorhaut entfernt, mehr sei „mit einer Axt“ gar nicht möglich gewesen. Klingt wenig authentisch, ist es auch nicht: Diese Angabe des Werkzeugs stammt nicht aus der jüdischen, sondern aus der islamischen Tradition.

E-Mails an: thomas.kramar@diepresse.com

("Die Presse", Print-Ausgabe, 14.07.2012)

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