„Wir schreiben Geschichte“, sagte der türkische Premier über eine neue Bosporus-Brücke – am Jahrestag der Eroberung Konstantinopels.
Würde Österreich an jedem Jahrestag des Sieges über die Türken von 1683 hochoffiziell Aufzüge veranstalten und Feste feiern, wäre dem Land Europas Zorn gewiss und jener von Muslimen hierzulande wie in der Türkei sowieso, die Folgen wären wohl verheerend. Österreich tut das nicht, nur rechte Randgruppen sehen ihre „Kulturkämpfe“ als direkte Fortsetzung der ein halbes Jahrtausend zurückliegenden Kriege zwischen dem „christlichen Abendland“ und den Osmanen. Wie die griechischen Neonazis, die am Mittwoch zum 460. Jahrestag des Falls Konstantinopels mit Fackeln durch Athen marschierten und „Griechenland gehört den Griechen“ oder „Blut, Ehre, goldene Morgenröte“ skandierten.
In der Türkei ist das anders. Jedes Jahr am 29.Mai organisieren die Behörden Feierlichkeiten, um an die Eroberung Konstantinopels 1453 zu erinnern, und Staatsmänner deuten dabei auch mal gern dieses Ereignis im Licht der Gegenwart. Wie heuer der türkische Premier Recep Tayyip Erdoğan: Bei der Grundsteinlegung für eine neue Autobahnbrücke über den Bosporus in Istanbul erklärte er, dass mit dem Sieg der Osmanen über das christliche Byzanz ein „dunkles Kapitel“ beendet und ein „Zeitalter der Erleuchtung“ begonnen habe.
Die Feiern am 29.Mai haben Tradition. Da pilgert ein Umzug zum Mausoleum des 1453 siegreichen Sultans Mehmed II. und erinnert dabei an die Überführung von Schiffen über Land in das Goldene Horn; da spielt Janitscharen-Musik auf und in monumentalen Shows wird die Eroberung Konstantinopels dargestellt.
Vergangenes Jahr wurde auch auf einer riesigen Leinwand der damals neue Film „Fetih 1453“ gezeigt. Er ist das bisher teuerste und vielleicht erfolgreichste Projekt der türkischen Filmgeschichte und verherrlicht rücksichtslos den Sieg des Islam über das Christentum. Man sieht darin ausführlich, wie christliche Soldaten Frauen niedermetzeln, während das Plündern und Wüten osmanischer Truppen in der eroberten Stadt naturgemäß ausgespart bleibt. Erdoğan sah den Film zu Hause, noch bevor er in die Kinos kam, und erklärte, er gefalle ihm.
„Auch heute schreiben wir Geschichte“, sagte Premier Erdoğan in seiner Rede zur Eröffnung der Autobahnbrücke auch. Was ist geschichtsträchtig am Bau einer Autobahnbrücke? Offenbar, dass sie in Istanbul eine neue – dritte – Verbindung von Asien nach Europa schafft.
In Ländern wie Österreich, Deutschland oder Frankreich würde ein solches Ereignis als Symbol der Versöhnung und des friedlichen Zusammenwachsens zelebriert werden. In Istanbul ist das Gegenteil der Fall; es wird auf den Jahrestag der Eroberung der ehemaligen Hauptstadt der christlichen Welt gelegt, und der Premier dieses EU-Kandidatenlandes erklärt höchstpersönlich, dass dieses Streben nach Europa nichts als ein neuer Erobererzug ist.
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("Die Presse", Print-Ausgabe, 31.05.2013)