Schriftsteller als Staatsfeinde: Wie das FBI Autoren bespitzelt

Charles Bukowski geriet in den Sechzigerjahren ebenso ins Visier wie William T. Vollmann in den Neunzigern. Er wurde anonym denunziert. Unbekannte öffnen noch heute seine Post.

Der Akt landete mit dem Eingangsdatum 6.März 1968 auf dem Schreibtisch von FBI-Direktor J. Edgar Hoover, und sein Zweck war, in sprödem Bürokratenenglisch verklausuliert, der folgende: Das Bureau möge eine umfassende Sicherheitsüberprüfung des Postangestellten Henry Charles Bukowsky jr. alias „Hank Bukowski“ durchführen.

Der 48-jährige Schriftsteller hatte mit seiner Kolumne „Notes of a Dirty Old Man“ in der Hippie-Zeitung „Open City“ den Verdacht eines anonymen Informanten erregt. Bukowski schreibe „obszöne Artikel“, meldete er pflichtgetreu an seinen Chef im U.S. Postal Service. Was mochte dieser „dreckige alte Mann“ da in Los Angeles wohl im Schilde führen? Plante er gar staatsfeindliche, umstürzlerische Kabalen in seinem Postamt?

Das FBI und die Post machten sich eifrig ans Werk. Mitarbeiter von Bukowski wurden dazu animiert, Berichte über seine Gepflogenheiten an ihre Vorgesetzten vorzulegen. Akribisch lichteten die FBI-Agenten Seite für Seite mehrerer „Dirty Old Man“-Kolumnen ab. Sie befragten Nachbarn, Bekannte, Freunde.

Doch wie sie es auch drehten und wendeten, so eifrig sie auch im Privatleben des alkoholkranken Autors wühlten: Einen Staatsfeind konnten sie nicht aus ihm machen. Schon am 8.Februar 1968 hatten sie ihn zu den Vorwürfen einvernommen. Er schreibe die Kolumnen aus reiner Freude am Schreiben und „romantisiere sie stark, um die Storys saftiger zu machen“, sagte er. Ein Vorgesetzter Bukowskis, dessen Name im nun veröffentlichten rund 100-seitigen FBI-Akt geschwärzt wurde, konnte auch nichts Kriminelles gegen ihn vorbringen, gab aber pflichtschuldig zu Protokoll, dass er jemanden, der so etwas schreibe, nicht für eine Weiterbeschäftigung bei der Post empfehlen könne. Irgendwann verebbten die Ermittlungen.

Vier Jahrzehnte später hat sich am Unbehagen der amerikanischen Staatspolizei im Umgang mit exzentrischen Schriftstellern nichts geändert. William T. Vollmann, der vor allem für seine abenteuerlichen Schilderungen seiner Erlebnisse während des Kriegs der Sowjetunion in Afghanistan bekannt wurde, geriet Anfang der 1990er-Jahre ins Fadenkreuz des FBI. Wieder war es ein anonymer Denunziant, der die Behörden anspitzte. Vollmanns kapitalismuskritische Ansichten hatten eine verdächtige Ähnlichkeit mit den Bekennerschreiben des UNA-Bombers, der seit den späten 1970er-Jahren mit Briefbomben mehrere Menschen getötet und verletzt hatte.

In der aktuellen Ausgabe von „Harper's“, dem zweitältesten Debattenmagazin Amerikas, schildert Vollmann, was er aus dem 785-seitigen FBI-Akt über sich selbst erfahren hat– genauer gesagt, aus den 294 Seiten, in die er nach langem juristischen Kampf Einsicht nehmen durfte.

Vollmanns Denunziant hatte eine eigene, 27-teilige Akte über ihn angelegt. Seinen Namen wollte er allerdings nie in der Öffentlichkeit sehen – auch nicht vor Gericht: „Ich werde jegliche offizielle Rolle verweigern“, schrieb er dem FBI. Die FBI-Agenten in New Haven, Connecticut, waren gleich Feuer und Flamme. War es nicht verdächtig, dass „FC“, das Akronym, welches der UNA-Bomber in seinen Schreiben verwendete, auch für Vollmanns Roman „Fathers and Crows“ stehen könnte? Noch Jahre nach der Verhaftung von Ted Kaczynski, dem wahren UNA-Bomber, im April 1996 wurde Vollmann von den Behörden sekkiert. 2002 und 2005 wurde er an der Grenze zu Mexiko stundenlang festgehalten, verhört, beschimpft. Ein Entwurf seines Manuskripts für den „Harper's“-Artikel kam geöffnet und mit Tixo zugeklebt in der Post an. „Das Verlangen und der Wille zu spionieren, zu denunzieren, zu bedrohen und zu bestrafen mag keine amerikanische Neigung sein“, zitiert Vollmann aus dem Werk „America and the Americans“ von John Steinbeck. „Dennoch erhitzt es eine große Anzahl von Amerikanern.“

E-Mails an: oliver.grimm@diepresse.com

("Die Presse", Print-Ausgabe, 12.09.2013)

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