Und Lemmys Lieblingsphilosoph ist natürlich Kant...

Ein peinliches Wortspiel mit dem Namen eines Politikers, ein nackter Auftritt im Kölner Dom: neues Material zum Wesen des Obszönen.

Das Heilige und das Obszöne sind Nachbarn in unseren Köpfen, dieses nährt sich gern an der Aura, an den Tabus des Religiösen. Das belegen die in monotheistisch geprägten Kulturen beliebten religiösen Flüche (man denke nur an die regionalen Verballhornungen von „Herrgott“, z.B. „Hardigatti“); und das erklärt wohl auch die besondere Aufmerksamkeit für die neueste Aktion der Femen-Gruppe, deren stets gleiche Inszenierung zuletzt schon nur mehr fad schien. Während der Weihnachtsmesse im Kölner Dom sprang eine Aktivistin nackt auf den Altar, auf ihrem Oberkörper standen die Worte „I am God“. Der Kardinal, der die Messe hielt, reagierte gelassen und schloss die Frau in den Segen ein.

Das Erstaunlichste an diesem im örtlichen Sinn innerkirchlichen Vorfall ist, dass er auf YouTube als Video vorliegt. Haben wir doch noch das unausgesprochene, wohl auf dem Gebot „Du sollst dir kein Bildnis machen“ basierende Tabu im Kopf, dass man während sakraler Handlungen nicht fotografiert oder filmt. Ausnahmen werden zunehmend bei Familienfotos von Taufen, Hochzeiten etc. gemacht, offenbar wird der jähe Auftritt einer Nackten auch als Ausnahme empfunden.

Einen anderen Aspekt des Obszönen – die Fixierung auf ganz bestimmte Wörter, und zwar auf deren Klang – offenbart der diplomatisch peinliche Zwischenfall, dass ein serbischer Politiker dümmlich über den Namen unseres neuen Außenministers scherzte. „Kurc“ (in Nominativ „kurac“) ist nämlich ein obszönes serbisches Wort für Penis. Solche Gleichklänge reizen, gerade weil sie dem kultivierten Menschen so peinlich sind, auch diesen unwillkürlich zum Lachen, Manfred Deix hat das einmal in einem herrlichen Cartoon dargestellt: Ein österreichischer Nachrichtensprecher stockt beim Namen des britischen Politikers Michael Foot, wird rot, beginnt zu stottern. Ganz absichtlich spielte dagegen Rockmusiker Lemmy Kilmister, Bassist der Band Motörhead, der seit Jahrzehnten einen Ruf als Wüstling verteidigt, mit einem solchen Effekt. Auf die Interviewfrage, welchen Philosophen er denn schätze, nannte er Immanuel Kant – „just because of the name“.

Die Namensagenturen, die international agierende Firmen beim Finden von Namen für Produkte beraten, kämpfen gegen solche bilingualen Zweideutigkeiten. Dennoch passieren Pannen: So ist Pajero, ein Modell von Mitsubishi, im Spanischen ein derber Ausdruck für Onanist, und Pinto, ein Kleinwagen von Ford, ist für brasilianische Ohren ein verächtliches Wort für das männliche Glied – ob das mit dem gleichbedeutenden deutschen Wort „Pint“ (das in alten Henry-Miller-Übersetzungen vorkommt) verwandt ist, weiß ich nicht. Dass dieses sich wiederum genauso schreibt wie die britische Maßeinheit, verwirrt weder Englisch- noch Deutschsprachige. Wie gesagt, auf den Klang kommt es an. Dieser spielt wohl auch dabei mit, ob ein Wort einer tabuisierten Sphäre als obszön, als kindlich oder als sachlich empfunden wird. Man vergleiche nur die österreichischen Wörter für Urinieren. Vielleicht hat auch die immense Verbreitung des englischen „fuck“ – auch in anderen Sprachen – mit seinem aggressiven, zum Entladen von Spannung geeigneten Klang zu tun. (Der Gleichklang mit dem lateinischen Imperativ „Fac!“ hat schon manchen Gymnasiasten erfreut.)

Manchmal ist es rätselhaft, woher Wörter ihren unanständigen Reiz beziehen: Das englische Wort „bloody“ mutet uns ganz harmlos an, und doch ist es (und war früher noch viel mehr) für Englischsprachige ein „böses“, „verbotenes“ Wort. Eine der angebotenen Erklärungen: Es sei eine Verfremdung von „by our lady“ (Maria), ein weiteres Beispiel für die Nähe von Religiösem und Obszönem also.

E-Mails an:thomas.kramar@diepresse.com

("Die Presse", Print-Ausgabe, 28.12.2013)

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