"Wer ein Mobiltelefon besitzt, werfe es weg"

Weg damit.
Weg damit.(c) Die Presse (Clemens Fabry)
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Der deutsche Philosoph Hans Magnus Enzensberger empfiehlt der Menschheit seine zehn Regeln für die digitale Welt. Eine Totalverweigerung.

Zugegeben, die Welt kann schon verwirrend sein. Wer in Zeiten der NSA-Spähprogramme nach Wegen aus dem digitalen Glashaus sucht, hat nun allen Grund zu jubeln. Der deutsche Schriftsteller Hans Magnus Enzensberger hat für die „Frankfurter Allgemeine Zeitung“ die zehn Gebote für den richtigen Umgang mit der digitalen Welt aufgestellt – und einen Sturm der Entrüstung ausgelöst.

Regel Nummer eins laut seinem Pamphlet „Wehrt Euch!“: „Wer ein Mobiltelefon besitzt, werfe es weg.“ Spätestens hier hat der 84-Jährige wohl 99,9Prozent seiner Leserschaft schon verloren. Auf das Handy verzichten, das ging vielleicht noch zur Jahrtausendwende, aber heute?

Entsprechend boshaft fielen die Kommentare der Online-Leserschaft aus: Viel mehr sei von alten Männern eben nicht zu erwarten, so der Tenor. Wieder einmal bestätigte sich das alte Motto: Was vor der eigenen Geburt erfunden wurde, ist selbstverständlich, was bis zum 30.Geburtstag erfunden wurde, ist der Höhepunkt der (technischen) Evolution, und alles, was danach kommt, Teufelszeug.

So verallgemeinernd das auch ist, auf den ersten Blick klingen Enzenbergers Regeln tatsächlich nach Totalverweigerung. Regel Nummer sieben befasst sich mit dem Ende der E-Mails: „Wer eine vertrauliche Botschaft hat oder nicht überwacht werden möchte, nehme eine Postkarte und einen Bleistift zur Hand.“ Zu glauben, dass man mit Stift und Papier die Geheimdienste ausbremsen könnte, ist fast schon putzig. So genügt ein Anruf bei der österreichischen Post, um sicherzugehen, dass die meisten analogen Postkarten auch von der Post längst digital fotografiert werden. Nur für ein paar Stunden und nur zur Erfassung der Adresse, versteht sich. Aber auch Google speichert die Daten ja nicht offiziell dafür, dass die NSA zugreifen kann.

Regel Nummer zwei: „Man sollte unbedingt alles ausschlagen, was sich als Schnäppchen, Prämie oder Gratisgeschenk ausgibt. Das ist immer gelogen.“ Nicht ganz falsch. Natürlich wollen Unternehmen etwas für ihre Leistung. Im Internet ist das Geld oder Daten. Wirklich neu ist das aber nicht. Denn auch im „echten“ Leben gibt es (von Unternehmen) nichts geschenkt.


Regel Nummer drei: „Onlinebanking ist ein Segen, aber nur für Geheimdienste und für Kriminelle.“ Schon wieder richtig. Aber schon wieder nur zur Hälfte. Dank des Swift-Abkommens haben die Geheimdienste selbstverständlich auch dann Zugriff auf unsere Finanzdaten, wenn wir unsere Überweisungen ganz altmodisch per Formular tätigen.

Kreditkarten sind für Enzensberger „lästig und gefährlich“. Dem „Internet der Dinge“ könne man nur mit „totalem Boykott“ begegnen. Je tiefer man in seine Welt eintaucht, desto klarer wird: Hier spaltet sich jemand von der Realität ab, in der er lebt, oder macht verdammt gute Satire.

Dabei hat er in manchen Punkten recht. Natürlich sind viele „Segnungen“ der modernen Technologie verzichtbar und potenziell gefährlich. Aber die Lösung ist nicht der Gang ins Funkloch, sondern erst zu denken, bevor man ein Gerät anfasst. Alles, was durch die neue, vernetzte Welt besser wird, ignoriert er schlichtweg – und macht sich so zu einfach angreifbar. Nur einen Vorwurf hat er wirklich nicht verdient: Dass er zu alt sei, um zu wissen, worüber er schreibt. Regel zehn zu Facebook: „Wer solche Freunde haben will, dem ist nicht zu helfen. Wer das Unglück hat, einem solchen Unternehmen anzugehören, ergreife so schnell wie möglich die Flucht. Das ist gar nicht so einfach.“ In dem Punkt spricht er wohl aus Erfahrung. Hans Magnus Enzensberger findet man auch auf Facebook. Und auch wenn es ihm nicht gefällt: Er hat dort 2186 „Freunde“.

E-Mail: matthias.auer@diepresse.com

("Die Presse", Print-Ausgabe, 04.03.2014)

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