Der heillose Hype um Heidegger, den Hüter des Seins

Erst erweist sich der Philosoph als Antisemit, dann wird sein legendäres „Spiegel“-Interview entzaubert – posthumes Pech für ein PR-Genie.

Martin Heidegger und kein Ende. Mit wohligem Gruseln vernehmen wir Zeitungsleser, als Teil des seinsvergessenen „Man“, viel uneigentliches „Gerede“ über des Meisters „Schwarze Hefte“. In ihnen soll sich der große Philosoph als handfester Antisemit erweisen. Das Satyrspiel zu dieser Götzendämmerung liefert Lutz Hachmeister mit dem Büchlein „Heideggers Testament“.

Der Medienforscher wirft ein neues Licht auf das legendäre „Spiegel“-Interview mit dem denkenden Hüter des Seins. Rudolf Augstein erscheint darin als ahnungsloser, vor Ehrfurcht beißgehemmter Fragesteller, der sich vom bestens präparierten Heidegger über den Tisch ziehen lässt. Der frühere Nazi-Rektor darf sich sogar zum halben Widerstandskämpfer stilisieren.

Und als der Weise vom Todtnauberg die Worte spricht: „Nur noch ein Gott kann uns retten“, folgt diesem esoterisch-apokalyptischen Schmus andächtiges Schweigen. Augstein und sein Kompagnon sehen sich dankerfüllt an: Gottlob gerettet, wir haben unsere Headline!

Später stempelte Augstein den Schönfärber zum Schamanen. Dahinter steckt ein populäres Missverständnis: Mit wenigen Ausnahmen (wie Popper oder Mill) sind große Philosophen denkbar ungeeignet als politische Vordenker. Sie leiden, nach Hannah Arendt, an einer „Déformation professionnelle“. Plato erträumte sich eine Militärdiktatur samt Umerziehungslagern. Hobbes glorifizierte die absolute Monarchie, Sartre den kommunistischen Terror. Und als Morallehrer? Kierkegaard lobte die Scheiterhaufen der Inquisition. Kant empfahl, Häschern das Versteck des Freundes zu verraten, weil man ja nicht lügen darf. Sind sie damit als Philosophen erledigt? Nein, weil es in der Philosophie um anderes geht. Die Denker ohne empirisches Sicherheitsnetz mögen ergrübeln, wie der Mensch überhaupt zur Idee von Gut und Böse kommt. Stattdessen stecken wir sie als Schiedsrichter in Ethikkommissionen.

Hoffentlich ist kein neuer Heidegger darunter. Der wischte wie Nietzsche jede Moral vom Tisch und sann lieber dem Sein des Seienden nach. Augstein erklärte er, wie konträr doch der rasante Journalismus und sein bedächtiges Denken wären. Das ist so wahr wie banal. Und es kaschiert, dass Heidegger sich wie kein Zweiter seiner Zunft als mediale Marke platzierte. Der junge Dozent zog seine Studenten noch in einen produktiven Schwindel des Fragens. Der Alte von der Alm aber führte, einsam in geistigen Höhen, stumme Zwiegespräche mit Heraklit, Hölderlin und dem Schwarzwälder Auerhahn. Dieser PR-gerechten Pose verdankt Heidegger seinen schillernden Kultstatus unter Laien.

Wie farblos erscheinen daneben akademische Zeitgenossen, die wacker Probleme lösten: Scheler erfand die philosophische Ethik neu, Hartmann schuf die kompletteste Ontologie seit Aristoteles, Gehlen entwarf das moderne Bild des Menschen. Politisch schwer daneben lagen sie alle. Nie von ihnen gehört? Egal, neben dem „Zauberer von Meßkirch“ mussten sie ja verblassen. Und so pilgern wir stets aufs Neue zu Heideggers Hütte. Nur noch ein Gott kann uns davor retten.

karl.gaulhofer@diepresse.com

("Die Presse", Print-Ausgabe, 15.03.2014)

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