Wutbürger sind out – es leben die Zornzaren!

Die schönen Tage politischen Frühlings sind nun zu Ende. Jetzt kommt der Winter präsidialen Missvergnügens.

Den Beginn des Jahrzehnts hat der gemeine Wutbürger dominiert. Das Magazin „Der Spiegel“ prägte diesen Begriff. Man muss sich darunter einen Beamten vorstellen, der gegen die Obrigkeit nicht nur im Hosensack die Faust ballt, sondern zuweilen sogar vom Versammlungsrecht Gebrauch macht. Nach dieser latenten Phase gesellschaftlichen Umbruchs scheint sich derzeit eine Antithese zu entwickeln. Die da oben schlagen zurück, mit einem Typus von Politiker, der aufbegehrendes Volk wieder barsch in die Schranken weist.

Regierende Nummer eins der kalten Wutpolitiker ist Wladimir Putin. Russlands Präsident steht mit frei ausgelebtem Zorn, der Oligarchen gleichermaßen wie Pussy Riot trifft, in großer Tradition. Es ist nur eine Frage der Zeit, bis sich Putin über Vorbilder wie Stalin und Iwan zu Wlad dem Schrecklichen entwickelt. Einen derart argen Wüterich kann dann nicht einmal mehr ein schlauer Wirt wie Karl Schranz auf ein für St. Anton erträgliches Diktatorenmaß zurückstutzen.

Wer jetzt meint, das Gegengift lebe hier in kaum verhaltener Aggression reine Russophobie aus, dem sei gesagt, dass es nicht nur Zornzaren, sondern auch Wutpremierminister gibt. Der türkische Regierungschef Recep Tayyip Erdoğan pflegt Ressentiments gegen Feinde des Islam. Er plant nun sogar ein neues Bilderverbot, will die Internet-Plattform Twitter ausschalten. Moskauer Rumpelstilzchen würden für so eine Aktion wohl den Begriff Liquidieren verwenden oder die Betreiber gleich mit ausknipsen.

So weit ist man im kultivierten Frankreich noch lange nicht. Dort gibt es derzeit die kaum domestizierte Form des Wut-Ex-Präsidenten: Nicolas Sarkozy benutzt „Le Figaro“, das Leibblatt für Neidkonservative, dazu, sich über die Justiz auszukotzen, die es wagt, gegen ihn mit Methoden zu ermitteln, die ihm nicht fremd waren, als er noch die Macht hatte. Im Vergleich zu solchen Wutriesen wirkt es fast zahm, wenn unser Streichelkanzler oder sein Vize es sich gönnen, in der Causa Hypo verwegen zu werden.

Die vollendete Form des Affektregenten kommt ohnehin nicht aus Russland, sondern aus Sachsen. „Nu, da machd doch eiern Drägg alleene!“, soll König Friedrich August III. stilgerecht beim Abdanken gesagt haben. Da war der scheidende Monarch offenbar schon ein halber Wutbürger.

E-Mails an:norbert.mayer@diepresse.com

("Die Presse", Print-Ausgabe, 22.03.2014)

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