Als Patti Smith in der Burg das „N-Wort“ rief

Vor der Premiere von Genets „Die Neger“ könnte man Rimbaud lesen – und einen alten Rock'n'Roll-Song hören.

Ob die angekündigten Proteste heute Abend im Theater Akzent stattfinden, wenn bei den Wiener Festwochen Jean Genets Stück „Die Neger“ aufgeführt wird? Wir wissen es nicht. Aber wir wissen: Als vor drei Jahren im Burgtheater die große Alte des Rock, Patti Smith, zum Schluss ihres Auftritts wieder und wieder das durch die Gräuel der Sklavenzeit noch viel mehr belastete englische „N-Wort“ – nämlich „nigger“ – rief, protestierte niemand; alle verstanden, wissend oder intuitiv, dass das nicht pejorativ gemeint war. Sondern emphatisch.

Es war in „Rock'n'Roll Nigger“, einem Song aus dem Jahr 1978, der mit dem Satz „Baby was a black sheep“ beginnt und mit dem Flehen endet: „Outside the society, that's where I wanna be!“ Auf seinem Höhepunkt singt Patti Smith inbrünstig: „Jimi Hendrix was a nigger, Jesus Christ and grandma, too; Jackson Pollock was a nigger; nigger, nigger, nigger,...“ Klar: Der „Neger“ ist in diesem Song der beneidete Außenseiter, der außerhalb der von der Sängerin verachteten Gesellschaft steht. Böse Zungen könnten sagen: Das ist Outlaw-Kitsch, typisch für die vom Post-Hippie zum Prä-Punk mutierte Patti Smith, die die tatsächlich unterdrückten Schwarzen für ihre romantischen Zwecke benutzt...

Doch bemerkenswert im Zusammenhang mit der Wiener Theaterdebatte ist: Patti Smith steht mit diesem Song in derselben Tradition wie der (von David Bowie übrigens in einem Songtitel zu „Jean Genie“ verfremdete) Jean Genet. Nämlich in der des von ihr genauso wie von Genet verehrten Arthur Rimbaud (1854–1891), der das von Genet einmal zitierte Motiv „Je suis un nègre“ in seinem Gedicht „Mauvais sang“ einführte. Es beginnt mit dem bitter-ironischen Bekenntnis zu den „gallischen Vorfahren“ („Ich finde meine Kleidung so barbarisch wie die Ihre. Wenigstens schmiere ich mir keine Butter ins Haar“), von denen sich der Dichter in großer Geste abwendet: „Je suis une bête, un nègre.“ Der Absatz endet mit dem Ruf: „Faim, soif, cris, danse, danse, danse, danse!“ (Hunger, Durst, Schreie, Tanz, Tanz, Tanz, Tanz!)

Was bei Rimbaud ein virtuoses, in sich reflektiertes Spiel mit der Begeisterung für „das Wilde“, mit der Obsession für einen vermeintlichen Naturzustand des Menschen war, wurde bei Jean Genet (und auch bei Patti Smith) zur schlichten Sehnsuchtsformel. Wobei die Sehnsucht vor allem der Distanzierung zur Kultur gilt, die man nicht (mehr) als die eigene empfindet: Wie Anne-Catherine Simon am Samstag in der „Presse“ ausführte, schrieb Genet „Les Nègres“ nicht für Schwarze, sondern gegen Weiße.

Es war ein zwar nicht gallischer, aber galliger Kollege von Patti Smith, der dieses Motiv in einen selbstironischen Song packte: Lou Reed in „I Wanna Be Black“. „My skin color is a minor setback, I'm so white and you're so black, I wanna trade“, sang er 1978. Hätte man ihm Rassismus vorwerfen können? Immerhin hat er kein Wort mit N verwendet...

E-Mails an: thomas.kramar@diepresse.com

("Die Presse", Print-Ausgabe, 03.06.2014)

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