In Bayern verschieben sich die Wertigkeiten

Was müssen Dirigenten haben? Einen Taktstock? Nein: Ideen für Kooperationen mit der Schwulenszene!

ZWISCHENTÖNE

Dass in unseren Breiten allerhand aus den Fugen gerät, ist evident. Nicht nur im Hinblick auf die Sparzinsen. Auch der Blick auf das Kulturleben legt erstaunliche Verwerfungen offen. Anlässlich der Zelebrationen von Richard Strauss' 150.Geburtstag wird etwa mehrheitlich nicht vom „Rosenkavalier“ gesprochen, sondern von der Frage, wie sich der Meister zum Nationalsozialismus verhalten habe.

Wer die Meinung äußert, dass dieses Verhalten in den Jahren zwischen 1933 und 1945 rein gar keine Rückschlüsse auf die Qualität von Musikwerken zuließe, die beispielsweise 1911 uraufgeführt wurden, hat offenbar irgendetwas nicht durchschaut.

Auch die Frage, welcher Dirigent für welches Orchester einen guten Chef abgeben könnte, wird mittlerweile nach den neuen Statuten unserer Wertegemeinschaft beurteilt.

Unlängst ist ja Lorin Maazel krankheitshalber ein Jahr früher als geplant von seinem Posten als Chefdirigent der Münchner Philharmoniker zurückgetreten. Da möchte man meinen, in der bayerischen Metropole würde nun heftig darüber diskutiert, ob die Wahl von Valery Gergiev als Maazel-Nachfolger zur gedeihlichen Entwicklung des städtischen Klangkörpers – etwa dem Gegenstück zu unsren Symphonikern – betragen würde.

Gergiev ist ja sehr berühmt. Und er hat zu Hause in St. Petersburg seine ehrfurchtsvolle Zuneigung zu Wladimir Putin zu nützen gewusst, um sein Marinskij-Theater nach außen und innen zu einem international glamourösen Haus auszubauen.

Dass er dabei manchmal seine eigenen Auslandsverpflichtungen nicht so ernst genommen hat, wie er sie hätte nehmen sollen, ist auf der Kehrseite der Medaille eingraviert. Unsere Philharmoniker können ein Lied davon singen. Gergiev ließ mehr als einmal Proben platzen und gilt nicht gerade als zuverlässiger Partner und akribischer Arbeiter.

Nun sind die Münchner Philharmoniker ein Orchester, das erfahrungsgemäß nur durch konsequente und tiefgründige Zusammenarbeit mit seinen Chefdirigenten (Celibidache, Thielemann) konkurrenzfähig wurde. Also macht man sich im Umfeld der Philharmonie am Gasteig jetzt deshalb Sorgen? Weit gefehlt: Valery Gergiev musste jüngst zum Rapport wegen Putins und des Verhältnisses zwischen Russland und der Ukraine – und vor allem zwecks „Ideensammlung für nachhaltige Kooperationsmöglichkeiten mit der schwul-lesbischen Community in München“. Interessant, worauf die Bayern beim Besuch von Konzerten Wert legen...

("Die Presse", Print-Ausgabe, 30.06.2014)

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